Schussfahrt
Pfarrer von der
Pfarrei in Stein. Nun geht es darum, genau zu fixieren, wer wann gegangen ist«,
erläuterte Volker Reiber. »Der Wirt des Rössle war allerdings um siebzehn Uhr
schon in seinem Gasthof und hat den Abendbetrieb vorbereitet. Er fällt also
aus.«
»Na, so ein Glück
für ihn«, meinte Jo sarkastisch. »Aber wer dann gegangen ist, hätte es leicht
bis ins Gunzesrieder Tal schaffen können, meinen Sie?« Sie fand das doch sehr
einfach gestrickt.
»Vertrauen Sie meiner
Erfahrung, Frau Doktor, ein Mörder hat immer ein Motiv, und im Fall von Herrn
Rümmele liegen die Motive ja nachgerade auf der Straße.« Langsam fand Volker
Reiber zu seiner alten Arroganz zurück.
»Nun, nach dieser
Theorie könnte ja sogar ein Pfarrer der Mörder sein. Der war nämlich nur bis
siebzehn Uhr da, und außerdem war auch er kein vehementer Verfechter von
Rümmeles Ideen.« Jo machte keinen Hehl daraus, was sie von Rümmele hielt. Das
war unklug, aber um diese Zeit, ohne ausreichend Koffein, haperte es erst recht
mit der Diplomatie.
»Richtig, ein Mörder
sieht nie aus wie ein Mörder«, dozierte Reiber, »aber der Pfarrer ist wirklich
nur über die Straße gegangen. Er war um siebzehn Uhr fünfzehn im Pfarrhaus und
wurde mehrfach gesehen.«
»Was fragen Sie mich
denn, wenn Sie schon alles wissen!« Jo wurde nun auch aggressiver.
»Weil ich alle
Ergebnisse vergleiche, Frau Doktor. Sie sollten mir zutrauen, dass ich meinen
Beruf beherrsche!« Volker Reibers Blick über Jos chaotisches Küchenbüro zeugte
von gewissen Zweifeln daran, wie sehr Jo denn wohl ihren Beruf beherrschte.
»Patrizia ist zwar
um sechs gegangen, aber da werden Sie lange nach einem Motiv suchen müssen.
Tja, und die anderen beiden …«
»Ein renitenter
Naturschützer und ein junger Mann, dessen Großmutter angeblich um ihr Haus
geprellt wurde, na, was würden Sie da denken, Frau Doktor? Wann also sind die
beiden gegangen?«
Jo hatte einen Kloß
im Hals. »Peter Rascher ist mit Patrizia gefahren, sie wohnt in
Niedersonthofen, er hat sie da auf dem Heimweg abgesetzt. Schorsch, also Herr
Obermaier, ging vielleicht so um sechs.«
Volker Reiber
schaute triumphierend.
Jo war wütend. »Aber
es gibt wahrscheinlich noch hundert andere, die nicht auf der Sitzung waren und
Herrn Rümmele bestimmt genauso wenig geschätzt haben wie Peter Rascher und
Georg Obermaier!«
Volker Reiber sagte
im Oberlehrerton: »Ja, aber nun bleiben wir beim Allfälligen, und Sie erzählen
mir mal diese Geschichte von Georg und Kreszenzia Obermaier. Ich habe gestern
Nacht noch die Prozessakten durchgesehen. Wenn das kein Motiv ist!«
Auch das noch! Jo
erinnerte sich gut an die »Causa Obermaier«. Kreszenzia Obermaier hatte ein
altes geschindeltes Austragshäuschen besessen, das einen Nachteil hatte – für
Rümmele, nicht für Kreszenzia. Es lag auf dem Grund eines alten Bauernhofs, den
Rümmele gekauft hatte und abreißen lassen wollte. So genannte »Vierspänner«
wollte er bauen, uniforme Reihenhäuser Marke »Glückliches Eigenheim«. Leider
aber ragte laut Plan einer dieser Vierspänner in Kreszenzias Küche. Das Häusl musste
weg!
Jo versuchte, ihre
Gedanken zu ordnen und einen möglichst diplomatischen Bericht abzugeben: »Also,
Sie wissen ja, dass die Oma Kreszenzia das Haus unter keinen Umständen
verkaufen wollte. Da sie sich dank ihrer Kräutertees bester Gesundheit erfreut,
sah es nicht so aus, als könnte man das aussitzen. Seltsamerweise fiel bald
nach dem dritten Angebot von Rümmele das Licht aus, dann gab es einen
Wasserschaden. Die Obstbäume waren eines Morgens dürr und abgestorben, das
Kräuterbeet hatten angeblich junge Vandalen umgepflügt. Ein Zusammenhang war
nie nachzuweisen: Die Rohre waren alt und rostig, die Leitungen unsachgemäß
verlegt. Alte Bäume sterben eben, und die verrohten, gewaltbereiten Kids sind
ein Produkt von TV und unfähigen
Eltern. Rümmele kam sogar zwischendurch als barmherziger Samariter vorbei. Er
brachte ein Notstromaggregat und einmal auch Saatgut für ein neues Beet,
während am anderen Ende des Grundstücks die Bagger schon Aufstellung genommen
hatten.«
Volker Reiber hatte
mitgeschrieben. Der konnte tatsächlich Steno!
Jo schluckte. Na,
diplomatisch war das wieder nicht gewesen. Sie konnte sich ihre Ironie bei so
viel Wahnsinn einfach nicht verkneifen. Sie räusperte sich:
»Nun, Kreszenzia
verkaufte schließlich. Der Preis ist zugegebenermaßen okay gewesen, und der
Gönner Rümmele besorgte ihr ein wirklich
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