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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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Kemptner Stadtrand, und es war taghell. Es gab
keinen Cabernet, aber es gab eine Warnung.
    Er trat ans Fenster
und deutete den Mariaberg hinauf. »Dort oben wohne ich mit meiner Familie.«
Rennen sollte ich, dachte Jo, spätestens jetzt. Wollte er ihr weh tun oder
klarmachen, dass von ihm nichts zu erwarten war, von Mister Familienvater?
Sicher wollte er das, aber Jo rannte natürlich nicht und fatalerweise: Es hatte
nicht am Zauberberg gelegen, Martl war auch hier in Kempten eine erotische
Offenbarung.
    Für Jo war es mehr
als Sex, es war eine seltsame Berührung auf einer Ebene, die nur ganz wenige
Menschen berühren dürfen. Er war verheiratet, was Jo nicht störte, denn neben
der Lust empfand Jo Freundschaft für ihn.
    Als sie das Andrea
erklärte, wurde diese richtig wütend. »Johanna, wie naiv bist du? Du
unterschätzt seinen Narzissmus und die Brisanz der Lage. Er ist ein Promi, ein
weltbekannter Sportpromi. Mit dem kannst du nicht einfach befreundet sein. Er
sucht doch keine Freundschaft bei dir.«
    Er suchte Sex, das
wusste Jo – eigentlich. Keine überflüssigen Worte vorher, schon gar nicht
nachher und erst recht nicht in einer Öffentlichkeit, die eben auch eine
gemeinsame war. Sie traf ihn zwangsläufig wegen der Kampagne, und er ignorierte
sie mit Eiseskälte – er, der sich vor wenigen Stunden noch über ihren Körper
hergemacht hatte, als ginge es um sein Leben.
    »Aber Andrea, was
kostet es ihn, am Tag danach stehen zu bleiben und einige banale Sätze mit mir
zu wechseln? Das ist doch ganz unverfänglich«, hatte Jo damals kläglich
gefragt.
    Aber wenn sie
ehrlich war, kannte sie Andreas Antwort bereits. »Es kostet ihn nichts, aber er
wird es nie tun, weil er einfach nicht will. Ende der Durchsage! Bring dich in
Sicherheit, so lange du noch kannst«, fügte Andrea noch hinzu, obwohl klar war,
dass ihre Freundin das Gegenteil tun würde.
    Die Affäre hatte
sich über ein halbes Jahr gezogen. Jo war Fachfrau für die Fertigkeit geworden,
von Garagen unbemerkt in Hotelzimmer zu schleichen und sich durch Hintereingänge
zu stehlen. Martl hatte nie mehr als eine Stunde Zeit gehabt, und die
Ernüchterung hatte mit jedem Mal zugenommen. Jo hatte reden wollen, und er war
geflüchtet: in ein abgeschaltetes Handy, später in ein abgemeldetes Handy und
dann in einen Familienurlaub.
    Es hatte lange
gedauert, bis es nicht mehr weh tat. Andrea war wieder mal pragmatisch gewesen.
»Sei froh, einen Wikingerkönig getroffen zu haben. Du hättest nie gewusst, was
gestählte Oberschenkel sind und ein Waschbrettbauch. Du hättest wie alle dummen
Mädels von Sex mit einem Promi geträumt. Egal, ob Brad Pitt oder so einer. Du
weißt jetzt, dass der Preis hoch ist.«
    »Na ja, Brad Pitt
…?« Jo lachte etwas mühevoll. »Der wäre den Versuch doch noch mal wert. Du hast
schon Recht. Ich habe herausgefunden, was ich von einem Mann erwarte. So was
jedenfalls nicht! Schon eher Loyalität und Freundschaft und einen, der auf das
Aufrechnen von Leistung und Gegenleistung verzichtet – beim Abspülen und auch
bei Gefühlen.«
    Jo stand noch immer
in Gedanken versunken auf dem Parkplatz im firnigen Ofterschwanger
Frühlingsschnee. Warum holte sie dieser Mann jetzt wieder ein, wo sie so mühsam
gegen die Gespenster gekämpft hatte? Sie beschloss, Gerhard anzurufen, und sie
mahnte sich, Ruhe zu bewahren.
    »Gerhard, Jo hier. Rümmele
ist mit Martl Neuner ein Rennen gefahren, nehme ich jedenfalls an. Was tun wir
denn jetzt bloß?«
    »Wir trinken einen
Prosecco Long im Pega«, sagte Gerhard überraschenderweise, »ich bin um halb elf
abends da.«
    Das Pega hatte seine
heilende Wirkung auf Jo noch immer nicht verloren, auch nicht nach so vielen
Jahren. Dino, der Inhaber, hatte sich überhaupt nicht verändert. Nach all der
Zeit tauchten immer noch bekannte Gesichter auf, wie ein alter Kumpel, der
heute Besitzer einiger gutgehender Bäckerei- und Konditoreifilialen war. Seine
Brezen standen allgemein für Qualität – für Jo und Gerhard allerdings eher für
abgefahrene Partys bis weit in die Morgenstunden hinein. Dank seiner hatten sie
stets ofenfrische Brezen gehabt. Sie standen zu dritt da und tranken in
Erinnerung an die »good old days« Prosecco aus Longdrinkgläsern auf Eis.
Eigentlich Frevel, aber eben auch ein ganz spezielles Kemptner »Kulturgut«.
    Als der alte Freund
gegangen war, hatte Jo sich einigermaßen gefangen. Diese Entspannungspause hatte
sich wie zufällig ergeben und war doch so geplant gewesen. Lieber,

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