Schussfahrt
Schritte spielten unzählige Muskeln.
Er hielt ihr ein Glas hin und nippte nur kurz. Er mochte keinen Rotwein.
Jo war verloren.
Martl war so selbstverständlich in seiner Männlichkeit, wie sie es noch nie
erlebt hatte. Sie hatte immer gedacht, dass solche Männer mit den letzten
keltischen naturgewaltigen Kriegern oder den Wikingerkönigen ausgestorben
seien. Ein Mann, der nahm und gab. Kein Sex-Egoist, aber auch kein erotischer
Tändler. Ein archaischer Mann, einer, der den Bären im Kampf niederringen würde
oder den Säbelzahntiger.
Er ging nach Stunden
zurück in sein Zimmer, zurück zu seinem frühmorgendlichen Trainingsalltag. Jo
schlief eine Stunde und erwachte mit brennenden Augen.
Damals glaubte sie
eines zu wissen: Er hatte sie verdorben für alle anderen Männer. Nicht gerade
arm an Vergleichsmöglichkeiten, zweifelte Jo daran, dass es so einen wie ihn
jemals wieder geben würde. Sie hasste ihn dafür, ihr die Tür zu dieser Welt
geöffnet zu haben.
Als Jo nach Hause
kam, war sie völlig durch den Wind. Sie rief Andrea an.
»Na«, tönte Andrea,
»wie geht es meiner guten alten Jo, die nie die Folgen bedenkt und ungestüm
voranprescht? Welchen Schaden hast du diesmal an deiner Seele angerichtet? Ich
nehme an, dass du dich gerade mal wieder staunend fragst: Und wie kriege ich
das alles bloß wieder entwirrt?«
Jo schluckte: »Ach,
Andrea.« Dann folgte ein langer Bericht.
Andrea schwieg,
bevor sie zögernd sagte: »Ich bin ja fast ein wenig neidisch. Wilder Sex mit
einem Wikingerkönig? Aber ernsthaft: Glaubst du nicht, dass er im normalen
Leben anders ist als auf dem chilenischen Zauberberg? Wenn der Boden der
Realität, des normalen Lebens vor ihm liegt – Heimat, Europa, Werbeverträge,
Manager –, dann ist er vielleicht auch ein ganz normaler Liebhaber.«
Jo klang gequält: »Ich rede mir das auch schon dauernd ein. Aber es ist einfach so, als wäre die
Erde weggesackt.«
»Ich weiß nicht, Jo!
Du bist gerade mal einen Tag wieder zu Hause. Warte mal ab. Nach ein paar Tagen
mit deinen Bürgermeistern, den Obmännern und der Bürokratie zeigt die Erde
wieder ihr wahres Gesicht. Du bist in Chile eine andere gewesen: Alle
Emanzipation zum Teufel, weggeschwemmt von deinem Ski fahrenden Wikingerkönig!
Ich glaube, das wäre hier ganz anders gelaufen, vielleicht wäre da gar nichts
gelaufen.«
Jo wollte das gern
glauben, aber sie war einfach nicht mehr so recht zurechnungsfähig. Patrizia
wollte alles über die Studienreise wissen. Und Jo erzählte die offizielle
Version. Aber ganz beiläufig erwähnte sie – weil sie vor Mitteilungsdrang
einfach fast platzte –, dass sie Martl getroffen hatte. Das gab Patrizia an den
Bürgermeister weiter, und der hatte eine brillante Idee. »Ach wirklich, Sie
haben ihn in Chile kennen gelernt? Interessanter Typ. Wenn Sie ihn kennen,
lassen Sie uns doch eine Kampagne mit ihm machen. Dort urlauben, wo
Olympiasieger das Skifahren gelernt haben. Das wäre doch was.«
Patrizia fand das
»superlässig«, der Bürgermeister war sowieso völlig selbstverliebt, was blieb
Jo da übrig? Und genau genommen, auch wenn sie das ungern zugab: Das war doch
der perfekte Anlass, ihn rein beruflich wiederzusehen.
Sie trafen sich im
Hotel Sonnalp. Er trug Jeans und sah aus wie der nette Junge von nebenan. Martl
war im Gespräch umgänglich und professionell. Jo stellte ihm das Konzept vor.
Er hatte Verstand, und er besaß diese selbstverständliche Männlichkeit, die sie
schon in Chile so fasziniert hatte, auch im Berufsleben. Er vertraute auf sich
selbst und sagte: »Als Olympiasieger bist du unsterblich.« Beiläufig gab er zu
bedenken, dass eine Kampagne mit ihm sehr teuer würde.
»Er meinte das gar
nicht arrogant«, erzählte Jo danach Andrea.
»Für mich hört sich
das nach einem unheilbaren Narzissten an«, antwortete Andrea knapp.
Das
Sondierungsgespräch war beendet, die Arbeit getan. Martl ließ Jo aufzählen, was
nun zu tun sei: Essen, Trinken, Spazieren, Mountainbiketour?
Er nickte gnädig: »Alles okay, aber hast du keinen besseren Vorschlag?«
Sicher hatte sie
einen, und wieder sprach da eine andere aus dem Off: »Wir könnten ins Bett
gehen, aber wohl kaum hier im Sonnalp, wo uns jeder kennt.«
Er sah sie an. »Fahr
hinter mir her.«
Sie fuhren Richtung
Kempten. Parkten an einem Appartementbau in Thingers. Miese Ratte, der
Schlüssel zu seiner ganz privaten Absteige war das, hatte er das alles geplant?
Hier waren sie nicht
in Chile, hier waren sie am
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