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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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lieber
Gerhard, der an ihrer Stimme am Telefon gemerkt hatte, dass es um ihr
Nervenkostüm sehr schlecht bestellt war.
    Nun aber schaute er
sie prüfend an. »Hast du irgendeine Idee, wieso diese beiden in der Nacht
Skirennen fahren?«
    Jo schüttelte den
Kopf. »Nicht die leiseste!«
    Gerhard versetzte
die Eiswürfelreste in seinem Glas in Drehbewegungen. Klirr. Der Laut erstarb.
Sie schwiegen. Auf einmal klang Gerhard entschlossen. »Dann müssen wir Martl
fragen. Von Rümmele können wir schlecht eine Antwort erwarten. Ich habe den
Weltcup-Kalender gecheckt, die sind in Bormio. Wir fahren da jetzt hin.«
    Das hörte sich so an
wie früher, als sie schnell mal nach einer Kneipennacht an den Gardasee zum Frühstücken
gefahren waren! Jo zuckte zusammen wie unter einem Schlag.
    »Ich kann nicht, ich
kann mit dir nicht zu Martl fahren!« Jo klang hysterisch.
    Gerhard zischte sie
an: »Bloß weil du mit ihm gevögelt hast? Das haben wir auch mal, mich siehst du
fast täglich, ohne hysterisch zu werden! Aber vielleicht zählt ein
Olympiasieger ja anders!«
    »Wieso weißt du …?«
Jos Stimme war kläglich.
    »Das wissen viele.
Jo, bist du so naiv? So, wie du immer von ihm erzählt hast. Von Chile. Von
eurem Werbekonzept. Du musstest ja geradezu zwanghaft über ihn reden. Jo, ich
kenne dich. Ich weiß, dass da was war. Und da haben sich noch ganz andere das
Maul zerrissen!«
    Jo wurde rot, heiße
Flecken schossen ihr ins Gesicht, wie ein Fieberschub. Scham, Wut, wieder
Scham. Aber was hätte sie Gerhard sagen sollen? Dass ein Olympiasieger wirklich
anders zählte? Dass dieser ganze Lebensabschnitt eine Sonderstellung gehabt
hatte?
    Aber hätte sie das
Gerhard erklären wollen? Warum sie sich hatte verletzen lassen? Gerhard wäre
entrüstet und eifersüchtig gewesen. Irrational natürlich, denn ihrer beider
Geschichte lag noch länger zurück. Aber Martl kränkte Gerhards männliche
Eitelkeit, nahm Jo jedenfalls an. Martl kränkte die Eitelkeit eines jeden
anderen Mannes. Zu groß, zu schön, zu erfolgreich. Einer wie der Martl
beunruhigte.
    Jo war inzwischen in
Gerhards VW -Bus eingestiegen und
starrte verbissen geradeaus. Gerhard auch, die Worte stellten sich tot. Jo sah
ihn vorsichtig von der Seite an. Er hatte oftmals das Unverbrauchte eines
Kindes. Obwohl er Allgäuer mit Leib und Seele war, sagte er »schau mer mal« in
schönstem Bayrisch. Es folgte ein »des wert scho« – und das waren bei ihm keine
Floskeln, sondern es war Ausdruck einer Gabe, optimistisch und lächelnd auf die
Kraft der Entwaffnung zu setzen. Er sah selbst frisch rasiert und gekämmt immer
aus, als wäre er gerade aus einem Sturm oder wahlweise total verwurschtelt aus
dem Bett gekommen. Selbst in Uniform wirkte er schlampig und nonkonform.
Mülltonnen-Gerhard!
    Jo hatte ihn oft so
erlebt: Es war immer wieder verblüffend zuzusehen, wie er mit
Vorstandsvorsitzenden plauderte, denen der Binder Kopf und Kragen zuschnürte.
Wie er aber auch andererseits Penner aus dem Straßengraben zog und genau den
richtigen Ton fand. Jo war jedes Mal aufs Neue überrascht, dass er sich an
Dinge herantraute, die weit über seinen Möglichkeiten lagen. Wie er alles
reparierte mit einer Eselsgeduld, und so lange bastelte und schraubte, bis es
letztlich doch klappte. Er war gerade deshalb ein wunderbarer Polizist: menschlich und integer. Er würde gerade deshalb nie Karriere machen! Es war
diese Unverbrauchtheit, die Jo so faszinierte. Sie schaute auf sein Profil mit
der kurzen Stupsnase. Er hatte auch optisch was von einem gewitzten Jungen.
    Vielleicht war das
das Geheimnis ihrer Freundschaft. Auch mit ihr hatte er sich eigentlich an
etwas herangetraut, das weit über seine Möglichkeiten hinausging. Eigentlich
brauchte sie An- und Aussprachen, wortgewaltigen Esprit. So was wie Marcel.
Aber eben nicht immer. Eigentlich brauchte sie den Philosophen, der mit ihr
zusammen die Angst totredete. Gerhard war immer nur Kumpel. Der Beste von
allen!
    Das hätte sie ihm
gern gesagt, hier in diesem kalten Auto, aber seine Augen war ungleich kälter
als der Bus, dessen Heizung mal wieder ausgefallen war. Sie schwiegen. Ein
nervenzehrendes, böses Schweigen.

12.
    Volker Reiber war
nach dem aufschlussreichen Gespräch mit Kreszenzia in Immenstadt sofort zur
Rümmele-Bau gefahren, wo er sich die Namen der Bauplatz-Käufer ausdrucken ließ.
Es waren zwei Vierspänner geplant, vier Doppelhäuser und vier freistehende
Einfamilienhäuschen. Die ersten, die gebaut werden sollten,

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