Schussfahrt
Nerv.«
Das konnte Volker
Reiber sogar nachvollziehen. »Das heißt, sie hat auch nichts von dem Bauplatz
gewusst. Ich nehme mal an, sie hätten beide zusammen in dem neuen Haus gewohnt?«
»Ja, hätten wir«,
antwortete Marcel, »für Jo wäre das ein Albtraum. Für sie gibt es nichts
Spießigeres als ein Neubauwohngebiet. Ihr grenzenloser kreativer
Individualismus ist nur im Chaos einer schlecht beheizten Abbruchhütte
auszuleben. Wenn die Mauern keine Risse haben und die Böden nicht aussehen, als
sei eine Armee mit nagelbewehrten Stiefeln darübergezogen, dann lebt für Jo ein
Haus einfach nicht. Jos Faible für beredte Mauern und die Schrunden der
Jahrhunderte in allen Ehren, aber wir sind da nicht so. Auch in dem Fall
wollten wir einfach jede Konfrontation vermeiden.«
»Gut, gut, das alles
leuchtet mir durchaus ein, aber der Ausgangspunkt bleibt doch bestehen. Sie
haben Herrn Rümmele beschimpft. Es soll sehr laut gewesen sein. Es fiel der Ausdruck
›Genick brechen‹. Sie wirken ja sehr beherrscht, aber da waren Sie wohl doch
eher unbeherrscht. Oder, Herr Maurer?« Volker durchbohrte den Journalisten
erneut mit Blicken.
Marcel Maurer
schwieg kurz und sagte dann: »Ja, da ist mir der Gaul durchgegangen. Es ist
immer schlecht, wenn man eine Story mit privaten Emotionen vermengt. Es ging um
die Wahrheitsfindung in einer Recherche, aber es ging eben auch um Patrizias
Geld. Herr Rümmele hat mich so anmaßend und selbstgerecht behandelt wie einen
unmündigen Schulbuben. Ich wurde einfach wahnsinnig wütend, weil er sich
eiskalt hinter seinen Anwälten verschanzt hat. Und da hab ich ihn angeschrien.«
In diesem Moment
klopfte es an der Tür. Markus Holzapfel streckte den Kopf hinein. »Herr Reiber,
Entschuldigung, aber ich glaube, es ist wichtig.«
»Glauben Sie das,
oder wissen Sie das?«
Markus schluckte.
»Ich glaube …« Dann fester: »Es ist wichtig, hier ist nämlich ein junger Mann,
der Herrn Rümmele am Mordabend im Gunzesrieder Tal aufs Ofterschwanger Horn
gefahren haben will.«
Markus Holzapfel
sagte das so lakonisch, als ginge es um eine winterliche Kaffeefahrt mit
fünfhundert Gramm deutscher Landbutter und Lammfelldeckenverkauf.
Volker rutschte zur
Stuhlkante und sprang dann auf. Er machte eine fahrige Bewegung in Markus’
Richtung und sagte zu Marcel und Patrizia: »Herr Holzapfel nimmt jetzt ein
Protokoll auf. Sie können dann vorläufig gehen, aber ich werde Sie sicher zu
einer weiteren Vernehmung brauchen.«
Und schon stob er
hinaus.
Zu seiner großen
Verwunderung stand Peter Rascher mit zwei jungen Leuten im Gang. Der junge Mann
hatte ein Nasenpiercing, mehrere Ohrringe und einen roten Pferdeschwanz. Das
Mädchen war ungewöhnlich feingliedrig und hübsch, mit einem schmalen,
wohlgeschnittenen Gesicht. Sie sah aus wie ein Engel – nur waren ihre glatten, langen Haare zu dunkel, und ihre Augen waren viel zu lebhaft. Peter Raschers
Augen!
»Meine Tochter Laura
und Moritz Wegscheider. Die beiden möchten gern eine Aussage machen«, stellte
Rascher die jungen Leute vor. Er hatte ihnen die Hand auf die Schulter gelegt.
Volker nickte, und
da in seinem Büro Markus Holzapfel saß, dirigierte er das Trio in Gerhards
Büro. Die Uli-Stein-Maus starrte ihn an, hatte aber aufgehört zu wippen.
»Bitte!« Volkers
schlug wieder seinen Kampfeston an.
»Herr Rümmele ist
auf dem Skidoo des Kamineck transportiert worden«, begann Peter Rascher, »und
Moritz hat …«
»Das kann er uns
vielleicht selbst sagen!« Volkers Ton war unangemessen scharf, was auch daran
lag, dass er ungeheuer wütend auf diesen Weinzirl war. Verschwunden, nebulös
wie alles in diesem merkwürdigen Fall. Eine Leiche mit verschwundenen Schuhen,
eine Jacke des Hauptverdächtigen, von der es angeblich mehrere gab, im Boden
verborgene Tonröhren, die da nicht hingehörten, ein verschwundener Polizist und
jetzt ein aktuell aufgetauchtes Skidoo. Er schaute Moritz Wegscheider an, der
völlig verschreckt aussah. So ging das wohl nicht. Volker Reiber stand auf,
strich seine Hose glatt und setzte sich wieder.
Sein Ton wurde
sanfter. »Also, Ihr Name ist Moritz Wegscheider, und Sie sind wer genau?«
Moritz begann
zögerlich zu sprechen, und was Volker dann zu hören bekam, war ja eine
abenteuerliche Geschichte.
»Ts, ts!« Volker
schüttelte den Kopf. »Und das soll ich glauben? Dass Sie keine Ahnung hatten,
was Herr Rümmele auf dem Berg wollte? Nun machen Sie mal einen Punkt!«
Inzwischen hatte ein
Kollege die
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