Schussfahrt
ehrlich war, hätte er sich gern mit
Gerhard ausgetauscht. Er hatte selten so planlos vor einem Fall gestanden. Aber
Kollege Weinzirl hatte es ja vorgezogen zu verschwinden. Volker gab der Maus
einen kernigen Stoß, was sie aber nur zu wildem Wippen und erneutem Feixen
brachte. »Scheiß Allgäu, Scheiß Fall!«
Er überlegte sogar
für einen Moment, Johanna Kennerknecht anzurufen. Die kannte doch Gott und die
Welt. Aber er unterließ es. So blieb er sitzen und fühlte sich ausgepowert.
Wenn er es sich recht überlegte, war er ganz froh, dass die Unschuld von
Schorsch Obermaier bewiesen schien. Dieser klotzige Depp war wohl wirklich kein
Mörder. Sollte der mal besser auf seine Oma aufpassen, die zwar wahrscheinlich
weniger Hilfe nötig hatte als die Hälfte der Menschheit, der aber ein bisschen
Gesellschaft sicher gefallen würde. Wem sollte sie denn sonst ihre vorzüglichen
Tees kredenzen?
Volker seufzte. Wenn
das alles hier vorbei war, würde er mal bei ihr vorbeischauen und nach einer
Teemischung fragen. Sie war in diesem ganzen vertrackten Fall bisher die
Einzige gewesen, die ihm nicht das Gefühl gegeben hatte, ein vollkommener
Fremdkörper zu sein. Er seufzte erneut und gab Order, Obermeier freizulassen.
Dann verbrachte er
eine halbe Stunde damit, drei Streifenwagenbesatzungen anzuplärren, sich zu
sputen. Er schickte sie erneut ins Gunzesrieder Tal, um dort zu recherchieren
und um in der Nähe der Mordstelle Ski und Skistiefel zu suchen.
13.
Jo und Gerhard saßen
noch immer im kalten VW -Bus, der
dröhnend durch die Nacht fuhr. Jo schaute auf die Uhr. Es war inzwischen
Freitag geworden, kurz vor drei Uhr morgens. Jo hatte ihren Anorak angezogen
und die Hände in den Ärmeln versteckt. Sie atmete schwer. Einer musste das
Schweigen ja brechen. »Es ist gut, fahr zu, wenn wir gut durchkommen, schaffen
wir es bis zum Vormittag. Dann ist Mannschaftsbesprechung nach dem
Morgentraining, da müssten alle da sein.«
Wie gut kannte sie
diesen Ablauf noch. Gerhard lag ein weiterer Kommentar auf den Lippen, aber er
verkniff ihn sich, sondern sagte betont sachlich: »Rekapitulieren wir: Der
Martl ist mit Rümmele ein geheimes Rennen gefahren, aber wo ist die
Verbindung?«
»Ich habe nicht die
leiseste Ahnung, über private Dinge hat er selten gesprochen.« Jos Stimme war
wie splitterndes Glas. Martl hatte überhaupt wenig gesprochen.
Fernpass,
Reschenpass, die Sonne ging auf über Südtirol. In Mals steuerte Gerhard eine
Tankstelle an, sie tranken Cappuccino. Jo bestellte einen zweiten. Sie wollte
Zeit schinden. Mit jedem Kilometer, den sie auf Bormio verloren, wurde ihr
mulmiger. Das Stilfser Joch lag in gleißendem Sonnenlicht, die Sonne fiel
schräg durch die Scheiben und wärmte. Das Ortlermassiv changierte von Orange
nach Rosa – eigentlich ein Traumtag, wenn nicht Bormio zum Greifen nahe gewesen
wäre. Auf der Passhöhe gönnte ihr Gerhard noch eine Cappuccino-Pause im Refugio
und fuhr dann entschlossen weiter.
Die Frühjahrssonne
brannte auf Bormio, als Jo und Gerhard ankamen. Der Schnee vor den Hotels war
schon braunem Gras gewichen, erste Schneeglöckchen spitzten heraus. An der
Hotelrezeption wies man ihnen den Weg zu einem Tagungsraum. Die Skifahrer
lümmelten am Boden – Videoanalyse.
Der Abfahrtstrainer,
der Jo noch aus Chile kannte, schaute auf. Er wirkte kurz verblüfft, winkte
dann erfreut. »Oh, hoher Besuch, wollt ihr uns mental aufbauen?«
Physisch wäre
netter, schien der Blick von einigen der Skifahrer zu besagen. Jo vermied jeden
Augenkontakt, speziell mit Martl.
Gerhard grinste
breit. »Klar, auch das, aber eigentlich wollten wir nur endlich mal wieder
vernünftig lombardisch essen, Veltliner Wein und einen Braulio mit euch
trinken. Nein, aber im Ernst, borgst du mir den Martl mal für einen
Augenblick?«
Jo hätte ihn küssen
können, dass er »mir« gesagt hatte, nicht »uns«!
Der Coach zuckte mit
der Schulter. »Martl?«
Martin Neuner erhob
sich und lenkte Gerhard und Jo mit einer Kopfbewegung aus dem Analyseraum. Ein
Eishauch lag in der Luft.
»Gerhard, servus,
habe die Ehre.« Martl gab sich locker. »Jo, griaß di?« Es klang eher wie eine
Frage.
Drei Cappuccini
kamen über den Tresen. Es herrschte Schweigen.
»Herr Rümmele ist
tot, Schorsch Obermaier steht unter Mordverdacht«, sagte schließlich Gerhard.
Keine Reaktion.
Gerhard weiter: »Du
warst mit Rümmele in der Mordnacht auf dem Ofterschwanger Horn. Wieso, Martl?«
Martls Gesicht
durchliefen Linien, so, als ob
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