Schussfahrt
Stall
kam, war Fenja gerade damit beschäftigt, Falco in den Hintern zu zwicken und
ihren Kumpel über das Paddock zu scheuchen.
»Heh, Rübennasen!«
Die beiden rissen
den Kopf hoch und kamen erfreut angetrabt. Fenja gab ein tiefes, grummelndes
Wiehern von sich. Begrüßung wie jeden Tag, wobei Jo sich da keinen Illusionen
hingab. Die Freude der Stute galt primär den Leckerlis in Jos Taschen. Fenja
legte die Ohren an, knallte Falco eine vor den Bug und machte einmal mehr
deutlich, dass ein junger Wallach sich gefälligst anzustellen habe, wenn die
Leitstute an den Zaun tritt. Die vier anderen Pferde hatten vorsichtshalber
weiter hinten Position bezogen; wenn’s ums Essen ging, kannte die Chefin keine
Verwandten.
Fenja sah aus wie
ein Erdferkel und roch auch wie ein solches. Diese isländische Dame pflegte
sich ganz undamenhaft zu suhlen. Nicht zu wälzen, wie das normale Pferde tun,
sondern sich dermaßen mit einer tierischen Fangopackung einzusauen, dass die
Dreckplatten nur so an ihr schlackerten. Selbst aus den Ohren quoll Dreck.
»Schlammsau.« Jo
versuchte sie an einer fangofreien Stelle zu tätscheln. Sie beäugte Falco, der
zwar auch dreckig, aber zumindest von getrocknetem Schmutz überzogen war. Jo
verscheuchte Fenja, packte Falco am Stirnschopf und zog ihn hinter sich her. Er
durchsuchte dabei ihre Taschen, zwickte sie in die Schulter und grinste.
Ehrlich, pflegte Jo zu sagen, der kann grinsen.
Wenn etwas gegen
Liebeskummer, Ärger mit Bürgermeistern und Mitarbeitern oder andere
Lebenskatastrophen half, dann ein ausgedehnter Ritt. Sie warf dem oberflächlich
sauberen Falco den Westernsattel auf den Rücken, schlang den Krawattenknoten in
den Sattelgurt und zurrte ihn fest. Sie beschloss, heute mal nur mit Halfter
und zwei Führstricken statt mit dem normalen Zaumzeug zu reiten. Schließlich
hatte Falco eine solide Westernausbildung und reagierte auf Stimmbefehle, wenn
er gnädigerweise gewillt war, sich an seine Erziehung zu erinnern. Sie
zockelten gemütlich vom Hof Richtung Skiliftparkplatz.
Ein plötzlicher
Wärmeeinbruch und der Regen hatten den Schnee stark aufgezehrt, die Skiabfahrt
nach Gunzesried war bereits gesperrt. Das Wetter trauerte, die Bäume wechselten
kläglich unter dem Peitschen des Windes die Richtung. Die südseitigen Skihänge
waren braun. Es herrschte Saison-Endstimmung, Endzeit.
Endete nun
endgültig, was vor zwei Jahren im August in Chile begonnen hatte? Dort ein
gleißender früher Winteranfang. Der Wikingerkönig in der strahlenden Rüstung.
Nun das Ende der Schneezeit. Der Wikingerkönig auch nur ein Mensch. Vielleicht
sogar ein kaltblütiger Mörder?
Jos Route führte sie
unweigerlich in Richtung der Fundstelle von Rümmele. Es war, als könne eine
erneute Ortsbegehung Klarheit bringen. Es war akkurat eine Woche her, dass
Falco und Jo Rümmele entdeckt hatten. Jos Gedanken schlugen Kapriolen,
schließlich rief sie sich zur Räson. Sie hatte schon wieder nicht auf Falco
geachtet, der statt Tannenzweigen erstes zögerliches Frühlingsgras naschte. Sie
ließ ihn mehrfach angaloppieren und sofort wieder stehen. Er tat es verblüffend
ordentlich. Jo klopfte ihm den Hals, nun durfte er die Nase ins Braungrün
senken, dort auf der kleinen Lichtung. Jo saß entspannt. Auf einmal legte sich
die innere Panik, die sie erfasst hatte.
Sie beschloss,
nachher Gerhard anzurufen, als ein Knall die Luft zerschnitt. Der Knall einer
Lawinensprengung, eine gewaltige Detonation, aber sehr nah. Falco sprang
seitlich auswärts, jagte davon, hinein in den Wald. Jo hatte in ihrer
Entspannungshaltung die Beine aus den Bügeln genommen und war ohne jeden Halt
zur Seite gerutscht. Ein stechender Schmerz bohrte in ihrem Knie. Verzweifelt
versuchte sie, eine Sitzposition zurückzuerobern. Sie zerrte an ihren
Pseudozügeln – ausgerechnet jetzt hatte das Pferd kein Gebiss …
Falco donnerte
weiter, und ein gewaltiger Ast traf Jos Kopf. Sie spürte einen Strudel von
Schmerzen, dann nichts mehr.
Als sie zu sich kam,
fühlte sie sich wie nach einem unruhigen Schlaf am Nachmittag. Wie spät? War es
Tag oder Nacht? Wo war sie? Sie wollte aufstehen. Das erwies sich als Fehler,
ihr Knie gab nach. Vielleicht verging der Schmerz mit der Zeit. Sie sah ihr
Knie an, als würde es gar nicht zu ihr gehören. Blut hatte die Hose
durchtränkt. Sie blinzelte. Irgendwas hatte ihr Auge verklebt. Sie fasste sich
vorsichtig ans Augenlid. Ihr Finger war warm und pappig – und rot. Jo stöhnte,
eine Hitzewelle
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