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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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haben, würde ich Ihnen zuraten, diesen Allgäuer Sturschädel
gehen zu lassen. Ich pass auf sie auf und verbürge mich dafür, dass sie das
Bein hochlegt, den Kopf ruhig hält und ihre Tabletten nimmt.«
    Der Arzt schluckte
und meinte dann: »Na denn, ich beuge mich dem Gesetzeshüter. Aber nicht Ihrer
Sturheit, Frau Kennerknecht.« Er drohte ihr mit dem Finger. »Und wehe, Sie
stehen hier nicht morgen Mittag auf der Matte.«
    »Wie eine Eins«,
antwortete Jo brav.
    »Na ja, bei Ihrem
Knie wohl eher wie ein gekrümmtes Fragezeichen«, scherzte der Arzt.
    Er hatte nicht
Unrecht. Ziemlich kläglich humpelte Jo auf die beiden Männer gestützt nach
draußen.
    Sie lächelte Gerhard
an. »Danke für alles. Ich fahre jetzt mit Herrn Reiber mit und versuche mal,
den Knoten, den ich da geknüpft habe, aufzulösen.« Sie drückte lange Gerhards
Hand. Er blinzelte in die Sonne und öffnete ihr wortlos die Tür zu Volkers
Auto.

21.
    Volker Reiber fuhr
sehr sanft an.
    »Geht’s mit dem Kopf
einigermaßen?«, fragte er.
    »Doch, doch, brummt
nur etwas. Aber ich nehme mal an, das Schüttelverhalten Ihrer Limousine ist
eindeutig günstiger als das von Gerhards Bus«, gab Jo zurück.
    Es war still, als
Reiber über das Autobahnteilstück nach Immenstadt rauschte. Jo starrte auf die
irisierenden blauen hypermodernen Digitaldisplays. Außentemperatur fünf Grad,
Spritverbrauch 7,3 Liter. Volker fuhr Richtung Zaumberg hinauf.
    »Auch das
Kurvenverhalten ist eindeutig angenehmer als das vom Bus«, hob Jo wieder an.
    Reiber nickte, und
sie schnurrten bergauf. »Ein schöner Blick, das muss man sagen.«
    »Ja, und genau da
unten wollte Rümmele sein Event Castle bauen. Verstehen Sie, weswegen viele das
unbedingt verhindern möchten?« Jo sah ihn vorsichtig von der Seite an.
    »Ja und nein.
Natürlich würde es die Landschaft verschandeln, aber brauchen Sie nicht auch
Gäste?«, fragte Reiber.
    »Sicher, aber ich
bin wie eine große Gruppe anderer Event-Gegner nun mal der Meinung, dass es
nicht zu uns passt. Und uns auch auf lange Sicht nicht nutzt. Es wird ein
bisschen sein wie bei den All-Inclusive-Resorts in der Dominikanischen
Republik. Die Gäste leben auf unwirklichen Inseln der Glückseligen. Es ist
ihnen eigentlich völlig egal, wie die Insel heißt, auf der sie in der Sonne
braten und Cocktails saufen. Die Umgebung der Anlage profitiert von solchen
Konzepten überhaupt nicht. Und hier wird es genauso sein. Keiner wird in die
Gasthöfe vor Ort gehen, kein Schwein wird sich für Immenstadt interessieren.
Das Castle wird die Touristen verschlucken, und dort gibt’s dann Hamburger auf
Plastiktabletts statt Kässpatzen in der gusseisernen Pfanne. Und abends spuckt
das Event Castle die Besucher wieder aus, und sie suchen den schnellsten Weg
zur Autobahn. Wie Lemminge auf modernen Asphaltlebensadern!«
    »Zweifellos ein
überzeugendes Plädoyer, aber können Sie sich das in Ihrem Job leisten, den
Massentourismus abzulehnen?«
    »Na ja, ich bin ja
nicht Direktorin von Ischgl oder Palma di Mallorca. Ich vertrete einen kleinen
Verband im Allgäu, und der heißt auch noch Immenstädter Oberland. Und das
Oberland, das beginnt hier, wo wir soeben lang fahren. Das ist das Bergstätter
Gebiet, eine Region, die übrigens gar keinen Massentourismus verkraften könnte.
Wir haben weder die Übernachtungskapazitäten noch die Straßen.«
    »Stimmt«, meinte
Volker Reiber, der gerade in ein Schlagloch gerauscht war.
    In Jos Stimme lag
Zärtlichkeit: »Frostaufbrüche, wie jeden Winter. Hier oben liegt oft sechs
Monate lang Schnee. Das Leben ist anders, schon ganz anders als in Immenstadt.«
    »Sie lieben die
Gegend, hm?«
    »Ja, ich liebe die
Gegend, weil das eine einzigartige Kulturlandschaft ist, hier heroben rund um
Diepolz. Der Ort liegt auf über tausend Metern, es war lange Zeit Deutschlands
höchstgelegene Pfarrgemeinde. Heute gibt’s keinen eigenen Pfarrer mehr. Im
neunzehnten Jahrhundert wuchs hier Deutschlands höchstes Getreide, das war bald
nicht wettbewerbsfähig im Preis. Die Bauern haben auf Milchwirtschaft umstellen
müssen. Schon 1817 begann ein gewisser Franz Joseph Schelbert in Immenstadt
Käse nach Schweizer Vorbild herzustellen. Mit der Eisenbahn kamen dann auch
bessere Vertriebsmöglichkeiten, und die Käsefabrikanten Herz haben Butter und
Käse bis in die USA exportiert.
Das muss man sich mal vorstellen! Es gab damals einen Freiherrn von Gise, der
die Landwirtschaft gefördert hat, es gab sogar schon Ende des

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