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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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neunzehnten
Jahrhunderts milchwirtschaftliche Versuchsstationen. Milchwirtschaft war die
Triebfeder einer ganzen Region, und das ist die Grundlage für das Bild, das Sie
kennen. Das vom schmucken Allgäu, dieser buckligen Welt im Taschenformat mit den
grünen Wiesenhängen. Das alles gäbe es bald nicht mehr, wenn die Bergbauern
diese Landschaft nicht hegen würden. Ohne Beweidung und Pflege wäre das Land
der Erosion preisgegeben. Die achtzehn Genossenschaftsbauern der Sennerei in
Diepolz sind vor allem auch Landschaftspfleger! Jeder hat rund fünfzehn Kühe,
unwirtschaftlich eigentlich, aber die Sennerei garantiert die Abnahme. Diese
genossenschaftlich organisierte Käserei ist eine der ganz wenigen, die noch
verblieben sind. Sie müssen den Käse mal probieren – so muss Käse schmecken.
Man schmeckt die Milch, deren Geschmack nur aus artenreichem Berggras oder Heu
stammt. Silage darf nicht gefüttert werden. Die Aufstallungsperioden sind lang,
das Heu wird im Frühjahr oft knapp, bevor die Tiere endlich draußen wieder
grasen können. Wissen Sie: Der Abschied vom Berg fällt den Bauern oftmals nicht
schwer. Heute schon pendeln die meisten zum Arbeiten in die Städte.«
    Volker Reiber hatte
mit Interesse zugehört. »Aber ist es dann nicht auch sehr einsam hier für Sie?
Sie wohnen doch weit ab von aktuellen Strömungen, deren Kenntnisnahme Sie sich
ja wohl kaum entziehen können?«
    Jo betrachtete ihn
wie damals bei Mama My sehr genau. Er versuchte nicht, sie zu provozieren, er
fragte einfach.
    »Ich wohne auch
hier, weil ich ein Zeichen setzen wollte. Den Leuten das Gefühl geben, dass ich
ihre Probleme ernst nehme. Wenn ich in Kempten oder auch nur in Immenstadt
leben würde, dann wäre ich nicht überzeugend. Wir können hier keine
touristischen Wunderdinge erwarten. Aber so was wie das neue Bergbauern-Museum
ist eine Chance: Es wurde in den Ort integriert, es ist unaufgeregt und
ehrlich, und es geht ohne falsches Pathos mit dem Allgäuer Leben um. Es erzählt
einfach die Geschichte des Bergstätter Gebiets. Es ist nur eine kleine Geschichte.
Im Foyer steht der Abguss eines typischen Allgäuer Rinds: klein, zäh,
trittsicher – keine EU genormte
Milchmaschine, aber ein seiner Umgebung perfekt angepasstes Tier. Und
garantiert nicht lila! Wenn uns das Museum nur einige Gäste mehr bringt, dann haben
wir schon gewonnen. Die Tatsache, einen Nebenerwerbslandwirt zu erhalten, der
im besten Fall auch noch einige Zimmer für Urlaub auf dem Bauernhof anbieten
kann, ist schon ein Geschenk. Wenn einige mehr in die Dorfwirtschaft gehen,
wunderbar! Wissen Sie eigentlich, dass nur noch die wenigsten Dörfer ihre
Gasthäuser haben? Im günstigsten Fall sind sie Griechen oder Italiener
geworden. Meistens aber sind sie ganz aufgegeben worden. Das Museum ist eine
Chance für die Landschaft und gegen die Entwurzelung der Leute. Sie sollen hier
wohnen bleiben und wirtschaften können. Heute ist das alles viel einfacher.
Internet und E-Mail gibt’s auf Höfen, wo sie nicht mal ein Radio erwarten
würden. Na ja, und durch das Auto ist Kempten einen Katzensprung entfernt.«
    Reiber grinste, als
er wieder durch eine tiefe Furche in der Straße schepperte. »Hm, ein
Katzensprung. Hoffentlich hat das Tier dann gute Pfoten! Aber mit Katzen kennen
Sie sich ja aus.«
    Der Satz blieb in
der Luft hängen, irgendwo über dem Display, das jetzt einen deutlich höheren
Verbrauch anzeigte.
    Jo schluckte. »Ja,
mit Tieren kenn ich mich aus. Wenn ich nicht gerade vom Pferd falle …«
    »… weil jemand auf
Sie geschossen hat«, ergänzte er.
    »Ja, das wollte ich
Ihnen erzählen, aber irgendwie …«
    Volker Reiber machte
eine kleine Handbewegung. »Nein, nein, ich fand es sehr interessant, mit Ihnen
zu plaudern. Dieser ganze Fall scheint mir doch sehr viel mit dem Verständnis
für die Landschaft zu tun zu haben. Wirklich, falls Sie mir das nicht glauben.«
    »Doch, natürlich
glaube ich Ihnen. Entschuldigen Sie, wenn der Eindruck entstanden ist …«
    Und plötzlich lachte
Volker Reiber, tief, anders, als Jo ihn jemals lachen gehört hatte. »Wir
umschleichen uns, entschuldigen uns dauernd. Der Brei scheint ganz schön heiß
zu sein, hm? Es ist wohl einiges schief gelaufen. Können wir ab heute
vielleicht kooperieren oder besser: zusammenarbeiten? Ich verspreche auch,
keine Fremdwörter mehr zu benutzen, wenn Sie mir versprechen, keines ihrer
Pfoten- oder Nagemonster auf mich zu hetzen.«
    Jo musste ebenfalls
lachen. »Das haben Sie

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