Schusslinie
und dies gerade so laut, dass Riegert die
Worte verstehen konnte. »Dies ist kein Spaß.«
Der Abgeordnete vermochte nichts zu sagen,
denn dieser Fremde dort hielt etwas in der rechten Hand, einen kleinen Gegenstand.
Eine Waffe? durchzuckte es Riegert. Er konnte aber nicht erkennen, was es tatsächlich
war. Für einen Augenblick überlegte er, einfach davonzurennen. Vielleicht waren
ja noch irgendwo Menschen – Spaziergänger, Wanderer. Wo, verdammt nochmal, waren
sie denn alle? Tausend Gedanken. Angst. Panik. Er wollte etwas sagen, doch irgendetwas
schnürte ihm die trocken gewordene Kehle zu. Der Fremde schien regungslos in seiner
Hütte zu verharren. Den Arm mit dem Gegenstand in der Hand ließ er locker nach unten
baumeln. Dann endlich wieder seine Stimme: »Ich empfehle dir – verpiss dich. Und
komm mir nie mehr in die Quere. Nie mehr und nirgendwo. Sonst bist du die längste
Zeit im Bundestag gewesen.« Der Unbekannte lachte schallend. »Und denk bei allem,
was du tust, auch an deine Frau.«
Der Mann ging einige Schritte in die Blockhütte
zurück und war damit in dem dunklen Innern unsichtbar geworden. Riegert wagte zum
ersten Mal wieder ein paar Schritte. Ohne die Hütte aus den Augen zu lassen, entfernte
er sich auf dem eingeschlagenen Weg, wurde schneller und schneller, richtete den
Blick nach vorne und begann zu rennen. Nach hundert Metern drehte er sich im Spurt
um und stellte erleichtert fest, dass ihm niemand folgte. Er rannte weiter, geriet
jetzt außer Atem und spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Doch er wollte jetzt
nicht anhalten, nicht jetzt, nicht hier. Erst als er zwei Radfahrer entgegenkommen
sah, verlangsamte er seinen Spurt. Endlich wieder andere Menschen. Endlich Hilfe.
Aber Riegert ließ sich nichts anmerken. Er grüßte die Radler und trabte weiter –
hinaus aus dem Wald. Erst nach und nach löste sich die Spannung und es gelang ihm
wieder, einen klaren Gedanken zu fassen. Er musste an Heimerle und Funke denken.
Es musste eine gut organisierte Bande dahinter stecken, die offenbar überall hin
ihre Kontakte hatte. Riegert überlegte, ob er die Kollegen der Polizei informieren
wollte. Sie würden das riesige Waldgebiet abriegeln, Hubschrauber einsetzen, Hundestaffeln
und ganze Hundertschaften der Bereitschaftspolizei. Mindestens eine halbe Stunde
würde aber bis dahin vergehen. Dann war die Chance, den Unbekannten aufzuspüren,
nicht mehr groß, dachte er. Und nur eines wäre damit augenscheinlich geworden: dass
er wieder die Drohung missachtet und die Polizei verständigt hätte. Nein, dieses
Risiko wollte er nicht eingehen.
Mehr als vier Wochen nach dem Mord an Lanski sah sich der Leitende
Oberstaatsanwalt Dr. Wolfgang Ziegler unter dem Druck der Medienanfragen genötigt,
eine Pressekonferenz einzuberufen. Die fand diesmal in Ulm statt, am Sitz der zuständigen
Staatsanwaltschaft. Offenbar war Ziegler von einem großen Andrang auswärtiger Journalisten
ausgegangen, weshalb er nicht in die Provinz eingeladen hatte.
Vertreter von Staatsanwaltschaft und Polizei
hatten bereits Platz genommen: Ziegler in der Mitte, links von ihm sein jüngerer
Stellvertreter und rechts Hauptkommissar August Häberle, der eigentlich nur widerwillig
nach Ulm gefahren war. Die Alternative wäre Kripochef Bruhn gewesen, der angesichts
der Kameras und Mikrofone mit Handkuss angereist wäre. Denn so sehr er die örtlichen
Medienvertreter auch hasste, so gerne sonnte er sich vor laufenden Fernsehkameras.
Häberle hatte sich schließlich vom Chef der Staatsanwaltschaft überzeugen lassen,
dass es besser wäre, als profunder Kenner dieses heiklen Falles selbst das Statement
für die Kripo abzugeben. Er blickte in die Runde der Journalisten und erkannte den
Geislinger Lokaljournalisten Sander, zwei Reihen weiter hinten den Lokalchef der
Ulmer Südwest-Presse.
»Meine Damen und Herren«, begann Ziegler mit
sympathischem Lächeln, »wir bedanken uns für das überaus große Interesse. Es zeigt
uns, dass Bedürfnis besteht, etwas über den Ermittlungsstand dieser Verbrechen zu
erfahren, die vor rund vier Wochen den Raum Geislingen-Göppingen erschüttert haben.
Es geht um vier Tote«, dozierte er und sortierte mehrere Klarsichthüllen, »… wie
Sie wissen, handelt es sich um Personen aus der Sport-, respektive der Fußballszene.
Deshalb hat es in einigen Medien in den vergangenen Wochen teilweise wilde Gerüchte
und Spekulationen gegeben, die manchmal – und diese Bemerkung sei hier erlaubt –
seltsame
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