Schusslinie
… Aus … Der Schuss ist nach hinten losgegangen!«
»Aber er kann doch froh sein, dass seine Partei
noch so dicht an die Konservativen rangekommen ist«, wagte Eva einzuwenden.
Gangolf löste den Blick vom Bildschirm und
sah zu ihr hinüber. »Mir ist ein Rätsel, ob er allen Ernstes geglaubt hat, nach
der Vertrauensfrage als Sieger aus dieser Wahl hervorzugehen.«
»Zumindest tut er doch so, als sei er der Gewinner.«
»Eva, so sind die großen Politiker«, seufzte
Gangolf und besah sich die Grafik einer neuen Hochrechnung. Konservative und Rote
waren nahezu gleich stark. »Die drehen jeden Sachverhalt so hin, wie’s ihnen passt.
Schröder war darin schon immer ein Meister.«
»Aber dass er heute nicht der Gewinner ist,
wie er es darzustellen versucht, merkt man doch wohl im letzten Nest, oder?«
Der Mann nickte bedächtig. »Nur – so richtige
Schadenfreude mag bei mir nicht aufkommen. Nicht wirklich«, meinte er und fügte
resignierend hinzu: »Dieses Wahlergebnis kennzeichnet den Zustand der Republik –
nichts Halbes, nichts Ganzes. Du wirst sehen: Jetzt dümpelt wieder alles nur vor
sich hin. Das läuft garantiert auf eine große Koalition hinaus – da könnt ich jetzt
schon wetten.« Er stellte mit der Fernbedienung den Ton leiser und gab zu bedenken:
»Oder die richten einen nie gekannten Scherbenhaufen an.«
»Und was bedeutet das für uns?« In Evas Stimme
schwang Unsicherheit mit.
Gangolf sah sie von der Seite an und zuckte
mit den Schultern. »Geh mal davon aus, dass es keine allzu große Wende geben wird.
Ob Schröder oder Merkel, das spielt für unsere Arbeit ohnehin keine Rolle. Die ganz
Großen sind rausgehalten worden.«
»Du meinst …« Eva zog einen Schmollmund, »… du meinst, ich muss nicht auf
die ›Ändschi‹ eifersüchtig werden, falls du’s jetzt mit ihr zu tun kriegst?«
Gangolf grinste.
71
Es war alles bestens vorbereitet. Sie hatten gleich nach den Sommerferien
Unterricht genommen, dabei aber auf höchste Geheimhaltung geachtet. Erfreulicherweise
hatte die Leitung der Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe in
Bad Überkingen großes Verständnis für ihr Anliegen gezeigt. So konnten die zwölf
Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) sowie drei Angehörige der Sonderkommission,
darunter Mike Linkohr, außerhalb der üblichen Unterrichtszeiten den Umgang mit Gästen
ebenso lernen, wie das Servieren der Speisen und das Abtragen des Geschirrs. Sie
waren gelehrige und äußerst motivierte Schüler, wie es hieß. Sie kredenzten Weine,
öffneten Sektflaschen, bekamen beigebracht, wie das Malheur eines umgefallenen Rotweinglases
dezent zu beseitigen war, und sie lernten Begriffe aus der Nobelküche.
Häberle war voll des Lobes über den Inhaber
des erst kürzlich erbauten Hotels, dessen Architektur sich in die historische Umgebung
von ›Staufeneck‹ einfügte. Wer auf dieser markanten Anhöhe, zwischen Göppingen und
Geislingen gelegen, durch ein Rundbogentor in den großflächigen Burghof eintrat,
war umgeben von herrschaftlichen Fassaden eines früheren Gutshofes, den der mittelalterliche
Turm der ehemaligen Burg überragte. Das Hotel auf der rechten Seite fügte sich derart
harmonisch in dieses Ensemble ein, dass man meinen konnte, es hätte schon immer
hier gestanden. Schräg gegenüber erhob sich das Geburtshaus von Anselm Schott, der
im 19. Jahrhundert das heute noch bekannte katholische Volksmessbuch verfasst hat,
das seinen Namen trägt.
Vor drei Wochen, als Häberle den Hotelier in
das Vorhaben eingeweiht hatte, waren sie in einem geschmackvoll eingerichteten Veranstaltungsraum
gesessen, der einen grandiosen Ausblick auf das Filstal bot, das in der Ferne von
den sommerblau schimmernden, bewaldeten Hängen der aufragenden Schwäbischen Alb
begrenzt wurde.
Zuvor hatte sich Häberle davon überzeugt, dass
der Hotelier ein tadelloser, unbescholtener Mann war. Er genoss in seiner Branche
sogar den Ruf, einer der Gourmet-Spitzenköche zu sein, ohne dabei aber die Haftung
zur gutbürgerlichen und bezahlbaren Küche verloren zu haben. Der Kommissar jedenfalls
hatte keinerlei Zweifel, dass sein Plan geheim bleiben würde. Allerdings bedurfte
es noch einigen Geschicks, das angestammte Personal davon zu überzeugen, am morgigen
Freitag von anderen Kollegen ersetzt zu werden. Häberle bestand darauf, dass ihnen
der wahre Grund nicht gesagt werden durfte. Er wollte jegliches Risiko auf eine
undichte Stelle vermeiden.
So einigte man sich auf eine
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