Schusslinie
gemeinsame Version,
wonach es sich bei der Veranstaltung am dreiundzwanzigsten September um das Treffen
hochrangiger, internationaler Politiker handele, die aus Sicherheitsgründen stets
ihr eigenes Bedienungspersonal mitbrächten. Der Hotelier bezweifelte zwar, ob seine
routinierten und berufserfahrenen Kellner und Bedienungen dies glauben würden. Aber
die Aussicht auf einen bezahlten freien Tag dürfte sie nicht allzu sehr ins Grübeln
kommen lassen.
Mit der Lügengeschichte eines Politikertreffens
lag man nicht mal so daneben. Immerhin hatten die Organisatoren ihr Treffen als
›Tagung zur Aufarbeitung des Wahlergebnisses‹ tituliert. Angemeldet waren 28 Personen,
überwiegend Männer, wie Häberle der Gästeliste entnahm, die das Wirtschaftsministerium
in Berlin gefaxt hatte. Als Ansprechpartnerin war Eva Campe genannt. Die Anreise
der Gäste würde bereits ab zwölf Uhr erfolgen. Um 19 Uhr sollte die Veranstaltung
mit einem Abendessen beginnen.
An diesem Donnerstag, dem Zweiundzwanzigsten,
ließen sich alle Beteiligten zum wiederholten Male vor Ort in die Arbeitsabläufe
einweisen. Ein Lehrer der Landesberufsschule hatte sich bereit erklärt, ihnen in
der Originalumgebung noch letzte Instruktionen zu geben. Linkohr war bereits in
den schwarzen Frack geschlüpft, wie ihn er und die anderen morgen tragen mussten.
Sie saßen in dem kleinen, festlich ausgelegten
Veranstaltungsraum, vor dessen Fensterfront feine Vorhänge den Blick nach draußen
auf ein Rehgehege freigaben. Drunten im Tal warf die Abendsonne bereits lange Schatten.
Die Rotoren der Windkraftanlagen auf der Albhochfläche blitzten bei jeder Umdrehung.
Vereinzelt hoben sich bereits verfärbte Bäume aus den Wäldern ab. Jetzt waren die
Nächte wieder länger als der helle Tag. Linkohr dachte für einen kurzen Moment an
den arbeitsreichen Sommer, der ihm viel zu wenig Zeit für Juliane gelassen hatte.
Sie waren sich aber einig, den verschobenen Urlaub in der Adventszeit auf den Kanaren
nachzuholen.
Auch Bruhn war an diesem frühen Abend auf ›Staufeneck‹
gekommen und hatte neben Häberle Platz genommen. Ihnen gegenüber saß der Hotelier
und Gastronom, der hier oben schon viele Prominente hatte begrüßen dürfen. Die Mannschaft
des weithin bekannten Hallenhandballclubs ›Frisch Auf Göppingen‹ bereitete sich
in dieser entspannenden Umgebung ebenso gelegentlich auf das große Spiel vor wie
der ›VfB Stuttgart‹.
Häberle erhob sich und blickte auf die jungen
Kollegen, die an zwei Tischreihen vor ihm Platz genommen hatten. Einige Bedienungen
servierten Kaffee.
Der Kommissar bedankte sich bei den Beamten
für deren außergewöhnliches Engagement. »Ohne Sie«, fuhr er fort, »wären wir nicht
in der Lage, diesen Fall so abzuschließen, wie es nach Lage der Dinge möglich ist.
Wir lassen die Veranstaltung so lange wie möglich laufen. Die Kollegen der Technik …«, er nickte ihnen im Hintergrund zu, »sie
haben aus diesem Raum ein Wunderwerk der Überwachungstechnologie gemacht. James
Bond lässt grüßen.« Er staunte selbst jedes Mal aufs Neue, wie winzig Mikrofone,
Kameras und Sender mittlerweile geworden waren.
Bruhn nahm einen Schluck Kaffee. Er hatte kein
gutes Gefühl, aber der Hotelier hörte gespannt zu.
»Zentraler Anlaufpunkt ist der Personalraum.
Dort stehen Lautsprecher und Monitore. Und dort werde ich mich aufhalten. Sie werden
mir nachsehen, dass ich nicht in Erscheinung treten kann. Manche der Herrschaften
kennen mich. Nur Kollege Linkohr wird sich noch eine gewisse Maskerade zulegen,
aber das dürfte ihm gelingen.«
»Und das Zeichen zum Zugriff geben Sie?«, fragte
eine Stimme aus der Mitte des Raumes.
Häberle nickte. »Bis dahin haben sich weitere
Kollegen draußen postiert. Ich gehe nicht davon aus, dass die Herrschaften großen
Widerstand leisten – auch nicht, dass sie bewaffnet sind. Einzelne vielleicht –
aber ich denke, dass allein der Überraschungseffekt sie lähmen wird.«
»Und wie wird das Zeichen aussehen?«, wollte
ein anderer wissen.
Häberle grinste: »Per Funk, 60 Sekunden vorher.
Bei null Sekunden werden Sie und Ihre Kollegen vom SEK hereinstürmen. Keiner im
Saal darf sich dann mehr von der Stelle rühren.«
Der Hotelier hob die Hand, als wolle er sich
zu Wort melden, wartete aber nicht, bis es ihm gewährt wurde. »Ich kann aber davon
ausgehen, dass es zu keiner Schießerei kommt?«, fragte er zögernd und blickte Hilfe
suchend nacheinander zu Häberle und Bruhn.
»Ein Wellness-Weekend ist
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