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Schusslinie

Schusslinie

Titel: Schusslinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Klinsmann zusammengetroffen war, verfolgte er jedes
Spiel der Nationalmannschaft. Er war inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass
Deutschland den Titel holen würde. »Wenn es mit jemandem zu schaffen ist, dann mit
Klinsi«, pflegte der Kommissar bei jeder Gelegenheit zu sagen. Es war ihm sogar
gelungen, selbst Bruhn von dieser These zu überzeugen. Überhaupt hielten sich die
Attacken des Kripochefs in diesen Tagen in Grenzen – wenn man davon absah, dass
ihm Häberles Stillhaltetaktik regelmäßig sauer aufstieß.
    »Und Sie sind sich absolut sicher, dass dies
der richtige Weg ist?«, fragte Bruhn energisch, aber an sich selbst zweifelnd, mindestens
zum zwanzigsten Mal. Es schien so, als wolle er mit der stets gleich lautenden Antwort
Häberles sein eigenes Gewissen beruhigen.
    »Wir haben zwei Möglichkeiten, wie ich Ihnen
schon sagte«, blieb Häberle auch jetzt wieder gelassen, »entweder wir nehmen eine
Person fest, von der wir ziemlich sicher sind, dass sie vermutlich vier Menschen
auf dem Gewissen hat, nämlich Anna, Heimerle, Funke und dessen Frau – oder wir haben
Geduld und heben eine ganze Bande aus. Bei der ersten Variante hätten wir einen
schnellen Erfolg vorzuweisen gehabt, aber alle Hintermänner aufgeschreckt und sie
in ihren Löchern verschwinden lassen. Auf Nimmerwiedersehen. Die zweite Variante
eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten. Dazu aber müssen wir den Anschein erwecken,
resigniert zu haben. Dann wiegen sie sich in Sicherheit und wir schlagen zu.« Den
letzten Satz hatte Häberle besonders laut und mit dem nötigen Nachdruck ausgesprochen.
Dann fügte er wieder gelassener hinzu: »Am Dreiundzwanzigsten haben wir sie vermutlich
alle beieinander – im Hotel Staufeneck, da bin ich mir absolut sicher. Und das klappt
nur, wenn wir uns zurückhalten.«
    Bruhn bot seinem Gegenüber plötzlich einen
Platz am Besprechungstisch an. Das hatte es seit Jahren nicht mehr gegeben.
    »Was ich mir überlegt hab …« Seine Stimme war ungewöhnlich sanft, sein
Blick weniger gefährlich, als noch vor zwei Minuten, »… wenn es so ist, wie Sie
meinen, dann sollten wir sensibel vorgehen.«
    Aha, dachte Häberle. Gangolf ließ grüßen. Oder
›MV‹. Oder wer auch immer. In wenigen Tagen war Bundestagswahl. Bruhn zog den Schwanz
ein – oder täuschte er sich da?
    »Sensibel bedeutet … ein Bauernopfer«, erkannte der Chef-Ermittler
die Lage, was Bruhns Gesicht wieder verfinstern ließ, »… also doch jetzt zuschlagen,
Erfolg feiern – und fertig. Und
was, wenn später dann doch jemand auspackt? Wenn jemand hinausbrüllt, dass alles
ganz anders war?«
    Bruhn sank auf seinem Bürosessel zusammen.
»Sie wissen, mir ist nicht wohl dabei … verdammt noch mal, wir sind die Deppen der Nation, wenn’s nochmal
einen Toten gibt.«
    Häberle nickte langsam. »Den kann’s aber auch
geben, wenn wir jetzt den Schwanz einziehen. Die werden so lange weitermachen, bis
der letzte Mitwisser eliminiert ist. Die größte Chance, dass sie vorläufig nichts
unternehmen, haben wir meiner Ansicht nach, wenn es keine erkennbaren Ermittlungen
mehr gibt.«
    »Sie sind sich aber bewusst«, fuhr Bruhn fort
und versuchte einen neuerlichen, dezenten Vorstoß, »dass Sie im ungünstigsten Fall … im ganz ungünstigsten Fall … die WM erheblich trüben könnten, was manche
Kreise …« Er rang nach
Worten, »… ja, was manche Kreise ziemlich erzürnen würde.«
    Häberle horchte auf. »Und …«, auch er formulierte vorsichtig und langsam,
»… und solche Kreise haben ihre Erzürnung bereits angekündigt?«
    »Ach – was …« Bruhn winkte ab. »Tun Sie, was Sie verantworten können.« Er
griff demonstrativ zu der rot-weiß-karierten Akte, die Häberle zur Genüge kannte.
Die Dienstaufsichtsbeschwerde, Zufall oder versteckte Drohung?
     
    Auf diesen Sonntag im September hatte das politische Deutschland einen
Sommer lang hingefiebert. Von Tag zu Tag war der Abstand zwischen den zunächst haushoch
favorisierten Konservativen und den Roten geschrumpft. Gangolf verfolgte mit versteinerter
Miene die Hochrechnungen der ARD, die alles andere als klare Verhältnisse zu erwarten
ließen. Eva Campe hatte Sekt nachgeschenkt, obwohl es eigentlich gar keinen Grund
zum Feiern gab. Sie saß in einem Sessel und drehte mit den Fingern nervös das halbvolle
Glas. Soeben war Bundeskanzler Schröder interviewt worden.
    »Hast du das gehört?«, schüttelte Gangolf ungläubig
den Kopf. »Der hat noch gar nichts begriffen. Seine Zeit ist vorbei

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