Schusslinie
Wasserstoffblondinen. Einer der Herren, der jetzt aus
einem Taxi stieg, hatte gleich zwei von ihnen im Schlepptau. Sie stöckelten ihm
mit ihren kurzen Röckchen zum Hoteleingang hinterher, während er sich gleich der
Rezeption zuwandte. Der Chauffeur übergab die Koffer einem Angestellten.
»Gebucht auf Pfullinger«, murmelte der Mann,
worauf die Empfangsdame ihre Computertastatur bearbeitete, zu einem Zimmerschlüssel
griff und ihn dem Gast reichte. »Nummer 33.« Der Gast lächelte. »Und dann noch die
Damen, Einzelzimmer …« Er beugte sich
diskret vor, »… wenn es geht auf derselben Etage.«
»Namen?«, fragte die Frau hinterm Tresen nach
und rückte ihre Brille zurecht.
»Maria und Marta.«
Zwei weitere Schlüssel wurden auf den Tresen
gelegt.
Der Mann, der sich Pfullinger nannte, braungebrannt,
knappe 60, ließ sich von seinen beiden Begleiterinnen zum Aufzug führen. Er blickte
sich zufrieden um und war von den Räumlichkeiten angetan. Das Hotel lag wirklich
einzigartig auf diesem Bergvorsprung. Zunächst hatte er gezögert, nachdem ihm der
Ort des Treffens genannt worden war, denn schließlich konnte diese Gegend hier die
Höhle des Löwens sein. Doch angesichts dieses neuen Hotels überwog die Freude an
dem Aufenthalt in dieser Wellness-Atmosphäre. Überhaupt, das war bisher die Devise
der gesamten Organisation gewesen, konnte man sich in ländlichen Bereichen eher
vor unliebsamen Überraschungen schützen als inmitten von Ballungsgebieten.
Der Mann lächelte in der dritten Etage seinen
hochgewachsenen, jungen Begleiterinnen zu und verschwand in seinem Zimmer. Er öffnete
das Fenster und sog die laue Herbstluft in sich hinein. Mit den Unterarmen am Sims
aufgestützt, blickte er in leicht gebückter Haltung hinaus und ließ das Albpanorama
auf sich wirken, das an diesem Freitagnachmittag in herrliches Sonnenlicht getaucht
war.
Er war so unendlich froh, hier zu sein. Erst
das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Tagträumen. Er richtete sich auf und
drehte sich. Wer konnte wissen, dass er schon da war? Zögernd näherte er sich der
Tür und rief vorsichtig »Ja, bitte?«
»Ich bin’s«, hörte er eine männliche Stimme
leicht gedämpft rufen, »Wolfgang.«
Der Mann im Zimmer blieb für eine Sekunde wie
gebannt stehen. Wolfgang. Endlich waren sie wieder beisammen.
Es bestand keinerlei Zweifel. Der Mann, der mit Häberle telefonierte,
war exakt jener, den die versteckte Kamera im Visier hatte. Gestik und Mundbewegungen
passten eindeutig zu dem, was er sagte. Häberle war zunächst irritiert, doch gelang
es ihm rasch, seine Aufregung zu verbergen.
»Ihre Kollegen haben mir Ihre Handynummer gegeben«,
erklärte der Mann und verließ die Bettkante, auf der er gesessen war. Er ging zum
Fenster. Der Blickwinkel der Kamera war jedoch groß genug, um ihn zu erfassen. »Ich
möchte Ihnen einen Tipp geben«, flüsterte der Anrufer und stand jetzt mit dem Rücken
zur Kamera. »Ich bin gespannt«, sagte der Kriminalist und rückte den Monitor zurecht,
um optimale Schärfe und Kontraste herzustellen.
»Es hat schon genug Opfer gegeben«, erklärte
der Mann und drehte sich wieder um. »Die Anna … sie war die Ärmste von allen. Zuerst von Nullenbruch gefügig
gemacht und missbraucht und das in jeder Beziehung. Dann eiskalt beseitigt, weil
sie nicht mehr mitgespielt hat.«
Häberle lauschte und starrte wie gebannt auf
den Monitor. »Und ich will nicht weiter hineingezogen werden«, fuhr der Mann fort,
»ich werde mich zu gegebener Zeit zu erkennen geben. Ich gebe Ihnen jetzt nur einen
Tipp: ›Staufeneck‹. Hotel Staufeneck. Heute Abend finden Sie dort alle, die Sie
seit einem Vierteljahr suchen.« Jetzt war’s raus. Der Mann atmete schwer, stand
mitten im Zimmer und drückte auf den »Aus«-Knopf des Handys. Wenn es noch eines
letzten Beweises bedurft hätte, dass er der Anrufer war, dann bekam es Häberle nun
bestätigt.
Der Kommissar rief vom Haustelefon aus einen
Kollegen an, der sich in einem Nebenraum der Rezeption aufhielt. Häberle nannte
die Nummer des Zimmers, das er bespitzelt hatte, und bat um den Namen des Gastes.
Knapp eine halbe Minute später erfuhr er ihn: »Rambusch heißt der Gast, Inhaber
eines Geschäfts für Elektronikteile in Aalen.«
72
Der Ministerialdirektor, eskortiert von seiner Gefährtin, deren Abendkleidchen
mehr freilegte als verdeckte, hatte an einem der vorderen Tische Platz genommen,
die V-förmig zu der Oberkante des Raumes ausgerichtet waren.
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