Schusslinie
…«
Sie stockte, als Meckenbach rasch hereinkam
und die Tür hinter sich schloss.
»Entschuldige, aber dieses Flittchen lässt
jeden Deppen zu mir durch.« Meckenbach sah sie ernst an. »Vielleicht solltest du
dich nicht gleich so aufregen.« Er zog sich einen Besucherstuhl vor den Schreibtisch,
hinter dem Ute Siller mit einem tief ausgeschnittenen Kleid saß und ihre Oberweite
zur Geltung brachte. »Außerdem«, fuhr er fort, »solltest du dich nicht zu solchen
Beschimpfungen hinreißen lassen. Wenn das Mädchen zu einem Anwalt rennt, siehst
du schlecht aus.«
»Anwalt!«, äffte Ute nach, »das wird sie nicht
wagen. Die nicht!«
Meckenbach wollte es dabei bewenden lassen.
»Wir sollten ein paar Dinge besprechen«, wechselte er das Thema. »Ich weiß ja nicht,
wie weit deine Befugnisse gehen …«
»So weit wie nötig«, fiel sie ihm kühl ins
Wort. »Ich sagte doch, Frau Nullenbruch hat mir alle Vollmachten gegeben.«
»Und ihr Mann? Ich meine, Nulli wird doch wieder
auftauchen?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Wenn sich seine Frau keine Gedanken drüber
macht, tu ich’s schon gar nicht.«
»Keiner weiß, wo er ist?«, fragte Meckenbach
zweifelnd.
»Das muss uns nichts angehen«, antwortete Ute
sachlich und spielte mit einem Füllfederhalter. Meckenbach beschlich das ungute
Gefühl, dass er bei dieser Frau nie ans Ziel kommen würde. Zunehmend spürte er auch
gar keinen Drang mehr danach. Sie war wirklich eiskalt.
»Wir müssen spätestens nächste Woche darüber
nachdenken, wie es mit der Installation der Maschinen in Košice weitergeht. Eigentlich
müsste ich längst wieder runter.«
»Natürlich wird weitergemacht«, entgegnete
sie, »nur so lang ich hier das Sagen habe, wird dies erst publik gemacht, wenn wir
die Gewerkschafter und Betriebsräte vor vollendete Tatsachen stellen können. Frau
Nullenbruch sieht das im Übrigen auch so.«
Meckenbach hatte nichts anderes erwartet.
»Wenn du es für notwendig erachtest, da runterzufliegen,
dann tust du das«, fuhr sie fort. Es klang wie auf dem Kasernenhof, dachte er und
fühlte sich plötzlich wie ein Schulbub, der vor der Rektorin saß.
»Und seine Sponsoring-Geschichten?«
Ute Siller zuckte wieder mit den Schultern.
»Hat das was mit der Firma zu tun?«
Er überlegte. »Ich geh mal davon aus, dass
nicht«, formulierte er es vorsichtig.
»Dann geht uns das auch nichts an. Wenn ihm
etwas daran gelegen ist, hat er sicher Sorge dafür getragen, dass es keine Komplikationen
gibt.« Die Frau drehte den goldenen Füller nervös zwischen den Fingern. Er durfte
ihre Geduld nicht überstrapazieren.
»Wenn er noch dafür Sorge tragen konnte«, griff
er ihren Satz auf.
»Wie soll ich das verstehen?«
»Hast du noch nicht daran gedacht, dass sein
Verschwinden vielleicht gar nicht so freiwillig gewesen sein könnte?«
»Und wenn schon!« Ihre Antwort kam überraschend
schnell. »Meinst du, ich heul ihm eine Träne nach?«
31
Häberle hatte seine Frau Susanne getröstet: Die Wettervorhersagen für
das kommende Wochenende waren schlecht, sodass sie beide nichts versäumten, wenn
er durcharbeitete. Linkohr hingegen spürte zum ersten Mal, wie schmerzlich es sein
würde, Juliane allein daheim zu wissen. So etwas wie Eifersucht keimte auf. Denn
vermutlich würde sie nicht zu Hause sitzen, während er Spuren und Personen überprüfte.
Er war sich zwar ziemlich sicher, dass sie ihn wirklich sehr mochte – aber allein
schon seine kurze berufliche Laufbahn hatte ihm gezeigt, wie schnell manchmal Liebesschwüre
gebrochen wurden. Schon jetzt fiel es ihm schwer, an das Gute im Menschen zu glauben.
Wie würde das erst sein, wenn er so alt war wie Häberle?
Aber die ersten Tage nach der Tat sind entscheidend,
das wusste Linkohr noch von seiner Ausbildung her. Wenn mal eine Woche vergangen
war, wurden die Aussichten auf eine Klärung des Falles immer geringer.
Viel Greifbares hatten sie noch nicht, musste
er sich eingestehen, als sie an diesem trüben Vormittag Herrn Striebel aufsuchten.
Dass der auch in Aichelberg wohnte, wie die beiden Funkes, die vorletzte Nacht in
ihrem Haus verbrannt waren, hatte einen besonderen Reiz, dachte Linkohr. Es konnte
natürlich auch Zufall sein. Striebels Haus war ein unscheinbares Gebäude aus den
50er-Jahren, ziemlich schmucklos und am Rande des alten Ortskerns gelegen. Über
der weißen Alutür, die wohl das einzige Teil aus jüngster Zeit war, hatte ein verrostetes
Blechschild mit Hinweisen auf eine längst verschwundene
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