Schusslinie
Russland. Und dann begann dieser
Confederations-Cup, diese Mini-WM, die diesmal in Deutschland stattfand. Klinsmann
war zwar finanziell an einem Sportgeschäft in Geislingen beteiligt, das sein ehemaliger
Fußballerkollege Werner Gass an einem stark frequentierten Verkehrsknoten an der
B 10 betrieb, doch war auch dort niemand bereit, für Sander einen Kontakt zu dem
Bundestrainer herzustellen. Klinsmann, so schien es, wollte offiziell zum Ort seiner
frühen Fußballerfolge keine Verbindung mehr pflegen. Wenn er es tat, dann nur inkognito
und nur zu seinen damaligen Kumpels. Sander bedauerte dies zutiefst, obwohl er Klinsmann
nie persönlich getroffen hatte. Aber bei allem, was er im Fernsehen sah, hielt er
ihn für äußerst sympathisch – vor allem, weil Klinsmann auch nach all den Jahren
in den USA seine schwäbische Herkunft nicht verleugnete und, zumindest schien es
so, bescheiden geblieben war.
Sander, der seit Jahren ein vertrauensvolles
Verhältnis zu Häberle pflegte, nahm zur Kenntnis, dass die Ermittlungen offenbar
stockten und sich auf ätzende Kleinarbeit beschränkten.
Helmut Bruhn, der wortgewaltige und bisweilen
cholerische Göppinger Kripochef, hatte eine Auskunftssperre verhängt und dies auch
dem Ulmer Oberstaatsanwalt Dr. Ziegler schmackhaft gemacht. »Mich kotzt es an, wie
die Pressefritzen mit der Sache umgehen«, wetterte er, als er endlich Häberle an
der Strippe hatte, »dass eines klipp und klar ist: Das hat nichts mit irgendwelchen
Fußballfunktionären zu tun. Verschonen Sie mich mit irgendwelchen haarsträubenden,
schwachsinnigen Ideen.« Bruhn stockte. »Und kommen Sie mir nicht wieder mit so aberwitzigen
Theorien daher – und vor allem keine Alleingänge, haben wir uns verstanden?«
Häberle grinste seinen Kollegen Linkohr auf
dem Beifahrersitz an. Bruhn hatte sie auf der Fahrt zu Nullenbruchs Villa am Stadtrand
von Nürtingen erreicht. Der Chef-Ermittler war ein kurzes Stück von Aichelberg bis
Kirchheim-West auf der A 8 gefahren und näherte sich nun über Reudern dem Ziel.
»Nach Aktenlage geht’s in dem Fall um eine
Beziehungsgeschichte zwischen provinziellen Sportfunktionären. Vielleicht sogar
um Weibergeschichten, wie Sie doch immer zu sagen pflegen. Hüten sie sich also davor,
in die Sache mehr hineinzuinterpretieren als dahinter steckt.« Bruhns Stimme überschlug
sich im Lautsprecher der Freisprechanlage. »Und sagen Sie das auch dem Linkohr.
Ich will saubere Ermittlungsarbeit, keine Spekulationen.« Noch bevor die beiden
Kriminalisten etwas antworten konnten, hatte Bruhn die Leitung getrennt.
Häberle grinste zu Linkohr hinüber. »Der wär
doch mal was für Harald Schmidt – nur so, zum Parodieren«, meinte der Kommissar,
als sie am Ortsschild von Nürtingen vorbei kamen, der Heimatstadt des beliebten
Entertainers.
Linkohr lotste seinen Chef in das beschauliche
Wohngebiet, in dem sich eingeschossige Villen unauffällig zwischen Bäumen und Sträuchern
duckten. Auf geschotterten Zufahrten parkten Limousinen der gehobenen Klasse.
Nullenbruchs Haus wirkte äußerlich bescheiden,
war von viel Grün umgeben und hatte am seitlich angeordneten Eingang einen wuchtigen
Holzüberbau, um den sich Efeu rankte. Die beiden Kriminalisten hatten sich von unterwegs
telefonisch angemeldet, sodass sie nun auch gleich eingelassen wurden. Frau Nullenbruch
war eine zierliche, braunhaarige Frau, um die 50 und eine Nuance zu aufdringlich
geschminkt. Die beiden Männer wurden in ein großes Wohnzimmer geführt, das mit weißen
Möbeln eingerichtet war. Eine Spur zu modern, befand der Kommissar, staunte dann
aber, welchen Ausblick die riesige Fensterfront trotz der vielen Sträucher bot.
Die Kriminalisten ließen sich auf einer ledernen
Eckcouch nieder, während Frau Nullenbruch auf einem dazugehörenden Hocker Platz
nahm.
»Sie haben gesagt, Sie kommen wegen meines
Mannes«, begann sie. Ihre Stimme klang tief und sachlich. »Ich hab Ihnen am Telefon
bereits erklärt, dass ich nicht weiß, wo er sich aufhält. Aber das ist nichts Außergewöhnliches.
Mein Mann ist oft spontan auf Geschäftsreise gegangen. Sie müssen wissen, dass wir
getrennte Wege gehen.«
Häberle staunte, dass sie bereits Fragen beantwortete,
die er noch gar nicht gestellt hatte. Linkohr machte sich Notizen.
»Sie müssen auch wissen, dass die Firma auf
mich läuft, obwohl er den Namen mal geändert hat – in ›Nubru‹. Gegründet hat sie
aber mein Vater, damals, gleich nach dem Krieg, unter dem Namen
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