Schusslinie
›Autometall‹. Matthias
– also mein Mann – hätte am liebsten alles übernommen. Aber inzwischen weiß ich,
dass meine Entscheidung richtig war.«
Häberle zog es vor, keine Frage zu stellen.
Der Redefluss interessierte ihn, während er wieder mal beiläufig die Umgebung in
sich aufnahm: das große Regal mit einer Vielzahl von Fachbüchern über Wirtschaft
und Politik, den breiten Fernsehbildschirm und die Gemälde, die kein Motiv erkennen
ließen. Viele hoch gewachsene Zimmerpflanzen und die imposante Schrankwand, hinter
deren Glasfront wertvolle Gläser und erlesene Getränke vor verspiegelter Rückwand
standen.
»Matthias hat’s immer mit jungen Mädchen gehabt«,
erzählte die Frau weiter, »und als er diese Anna daher gebracht hat, dieses Luder
aus der Slowakei, da war’s endgültig vorbei. Jetzt wo diese Fabrik bald fertig ist,
kann er meinetwegen dort hinziehen. Ich werf ihm keine Steine in den Weg. Nur muss
er eines wissen: Jetzt ist der Ofen aus. Ich hab notariell verfügt, dass die Geschäftsführung
mit sofortiger Wirkung auf Frau Siller übergehen soll.«
»Es interessiert Sie nicht, wo sich Ihr Mann
aufhält?«
»Wieso sollte mich das interessieren? Er ist
am Montagmorgen Hals über Kopf abgehauen und hat sich bisher nicht gemeldet.« Ihr
war Zorn und Enttäuschung anzumerken. Auch Verbitterung.
»Hat er denn kein Handy?«, warf Linkohr ein.
»Natürlich hat er das. In der Firma haben sie
versucht, ihn anzurufen. Nichts. Nur die Mailbox«, antwortete Frau Nullenbruch unruhig.
»Sie wissen, wir sind auf Ihren Mann nur deshalb
gestoßen, weil es Telefonate zu ihm gab, die von einem gewissen Herrn Striebel geführt
wurden. Von Deutschland aus und innerhalb der Slowakei. Kennen Sie Herrn Striebel?«
Sie überlegte und verzog das Gesicht. »Striebel?
Keine Ahnung. Aber das hat nichts zu bedeuten. Seit Matthias diese Sache in der
Slowakei angefangen hat, hatte er ganz neue Geschäftsfreunde. Ich lass gerade die
Frau Siller abchecken, wohin überall Gelder geflossen sind – und wozu.«
»Sie meinen, da gibt es Unregelmäßigkeiten?«,
hakte Häberle nach.
»Ich weiß es nicht«, gestand sich die Frau
ein, »aber denkbar ist alles.«
Der Kommissar nickte und verschränkte die Arme.
»Eine weitere Frage. Kennen Sie einen Herrn Lanski?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist der, der
erschossen worden ist, oder? Nein, sein Name sagt mir nichts.«
»Und Heimerle und Funke?«, wollte Häberle wissen.
Frau Nullenbruch schüttelte wieder den Kopf.
»Auch nicht. Sind das die anderen … Toten?«
Häberle nickte ernst. »Es sind alles Sportfunktionäre.«
»Ach … gehn Sie mir weg mit diesem Irrsinn.« Es schien, als sei ein sensibler
Nerv getroffen.
»Irrsinn?« Der Kommissar ließ sich seine Neugier
nicht anmerken.
»Um es gelinde auszudrücken, Matthias hat einen
Vogel«, Frau Nullenbruch stützte sich auf dem Hocker mit beiden Armen hinterm Rücken
ab. »Ein Fußballverrückter eben. Ein Fanatiker. Er fährt zu jedem Bayern-Spiel und
hat tausend Beziehungen zu irgendwelchen Leuten beim Württembergischen Fußballverband.
Rühmt sich damit, diesen ›MV‹ persönlich zu kennen, den Beckenbauer und wie sie
alle so heißen. Bis hin, dass er jedem, der’s hören will oder auch nicht, lang und
breit erklärt, dass er Klinsmann noch von anno-was-weiß-ich-denn her kenne.«
»Ach?«, staunte Häberle.
Beierlein hatte am Telefon äußerst zuvorkommend geklungen. Als ihn
der Abgeordnete Riegert an diesem Samstagvormittag angerufen hatte, zeigte sich
der Sportfunktionär von dem Interesse des Politikers hocherfreut. Natürlich werde
er kommen, noch heute, wenn es sein müsse, aber bis zum Freundschaftsspiel gegen
Nordirland wolle er wieder daheim sein. Am frühen Nachmittag traf er bei Riegert
ein. »Zunächst mal vielen Dank, dass Sie sich meiner Sache annehmen wollen«, begann
Beierlein, als er sich auf die Couch setzte. »Herr Gangolf hat Sie informiert, worum’s
geht. Mir ist natürlich daran gelegen, dass kein großes Aufsehen entsteht – jetzt
vor dem Confederations-Cup und im Vorfeld der WM. Ganz zu schweigen, wenn ›MV‹ etwas
von der Sache erfahren würde.«
Riegert nickte. Er kannte den legendären Müller-Vorwieger
zur Genüge, seine polternde Art und wie er gerade dieser Tage dem Südwestrundfunk
gerichtlich untersagte, weiterhin eine satirische Parodie auszustrahlen.
»Dieser Lanski«, griff Riegert jenes Thema
auf, das ihn als gelernter Kriminalist am meisten
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