Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
musterte seinen jungen Kollegen neugierig. »Kuhn!«, seufzte er dann.
Der hob eine Hand. Offenbar hatte er noch mehr auf Lager. »Warten Sie, ich weiß, was Sie sagen wollen: Es könnte Zufall sein. Sie könnte ihn verloren haben und ein Hund hat ihn mitgenommen oder sonstwas.« Er beugte sich zu Schuster. »Aber auch dann hätten wir ihn doch finden müssen …«
Schuster lehnte sich auf seinem quietschenden Stuhl zurück und versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. »Und Sie meinen, allein, dass der Schuh fehlt, beweist, dass der Täter einen Fetisch hat oder sowas?«
Moritz Kuhn errötete zunächst etwas, dann wurde er blass. »Warum sonst sollte er den Schuh mitgenommen haben, Herr Schuster?«, fragte er schließlich mit fester Stimme.
Jetzt lachte Schuster. »Ach, Kuhn, vielleicht gucken Sie zu viele amerikanische Serien. Ich hab neulich eine gesehen mit einem rothaarigen Ermittler, der ständig ’ne Sonnenbrille trägt. Albern.« Dann wurde er ernst. »Hören Sie, es kommt immer mal vor, dass Kleidungsstücke oder irgendwas anderes der Opfer verschwinden. Die meisten Sachen tauchen wieder auf. Viele Täter nehmen die Dinge mit und schmeißen sie irgendwo hin, manche werfen sie direkt in den nächsten Mülleimer. Manche nehmen sie auch mit nach Hause. Wer steckt schon im Kopf eines Irren?«
Kuhn errötete wieder, diesmal offensichtlich vor lauter Eifer. »Sehen Sie, das ist doch genau das, was ich meine. Niemand ahnt, was in einem Täter vorgeht, aber wenn man das näher untersuchen lassen würde …«
Schuster grinste ihn an. »Na, dann gehen Sie mal zu unserem Herrn Staatsanwalt und erzählen Sie dem von Ihren Flausen.« Er lachte.
Moritz Kuhn stöhnte etwas verhalten auf. »Sie wissen, dass ich das nicht tun kann.«
Schuster lachte noch mehr. »Warum denn nicht, Kuhn? Staatsanwalt Südmersen mag Mitarbeiter, die sich Gedanken machen.«
Jetzt schaltete sich Grätsch ein. »Lass gut sein, Heiner.« Zu Kuhn gewandt sagte er: »Ihr Eifer in allen Ehren, Kuhn, aber denken Sie doch mal nach: Bei einem Mordfall einen Profiler hinzuzuziehen ...«
»Heißen die bei uns nicht anders?«, überlegte Schuster.
»Fallanalytiker«, erklärte Kuhn.
Grätsch seufzte. »Wir haben einen Mordfall, Kuhn. Eine Leiche, verstehen Sie? Wie würde das aussehen, wenn man bei jedem Mordfall einen Fallanalytiker holen würde? So viele haben wir in Deutschland gar nicht.« Er schenkte seinem jungen Kollegen ein väterliches Lächeln.
»Das hat man Ihnen doch auf der Fachhochschule beigebracht, oder etwa nicht?«, meinte Schuster dann. »Die Kripo Bremen ist nicht CSI New York.« Das hatte er sich einfach nicht verkneifen können.
Moritz Kuhn verdrückte sich mit roten Ohren in seinem kleinen Büro, das gleich neben ihrem lag und eigentlich mehr eine Abstellkammer mit Schreibtisch war.
Schuster blickte ihm kopfschüttelnd nach. »Spinner ...«
»Lassen wir ihm eine Weile seine Leidenschaft und seinen Optimismus«, meinte Grätsch leise.
»Seine Naivität meinst du wohl.«
Grätsch winkte ab. »Und wenn schon. Früher oder später kommt er ganz von allein dahinter, dass hier nicht alles so abläuft wie in seinen Lehrbüchern.«
»Oder wie im Fernsehen«, gluckste Schuster.
Die folgenden Tage waren sie damit beschäftigt, sämtlichen Hinweisen nachzugehen – die sich bislang noch immer in Grenzen hielten. Doch natürlich wollte man nichts unversucht lassen. Alle vorbestraften Täter, die überhaupt infrage kamen, wurden unter die Lupe genommen, und da nicht jeder ein Alibi vorweisen konnte, dauerten diese Untersuchungen einige Zeit. Sie gingen auch der Zeugenaussage eines Mannes nach, der meinte, am fraglichen Abend einen Mann in einem Kombi beobachtet zu haben, der sehr hektisch und nervös etwas in sein Auto geladen hatte. Schuster hatte vor Aufregung seinen Stift zerbissen, als er mit dem Mann telefonierte.
»Ein dunkler Kombi?«, hakte er nach.
Der Mann am anderen Ende zögerte. »Weiß nicht so genau. Ja, könnte sein.«
»Wo haben Sie ihn gesehen?«
»Den Mann oder den Kombi?«
Schuster stöhnte leise. »Beides.«
»Am Bürgerpark, nah bei der Stelle, wo Sie die Frau gefunden haben.«
Schuster sprang auf, wobei er seine Kaffeetasse ein weiteres Mal herunterwarf. Diesmal überstand sie es nicht. Mit der Fußspitze schob er die großen Scherben zusammen und beförderte sie unter seinen Schreibtisch. »Wann genau war das?«
»Hab ich doch gesagt: An dem Abend, als die Frau ...«
Schuster ging halb um seinen
Weitere Kostenlose Bücher