Schutzengel mit ohne Flügel
auf Deck Anlauf und sprang wie ein Panther über die Reling. Aus dem Dunkeln war gedämpftes Platschen zu hören, als der verhexte Seemann auf dem Wasser aufschlug.
Rauno Launonen fürchtete sich zu Tode. Eine so schreckliche Situation hält nicht mal ein Teufel aus, dachte er bei sich. Weil auch die Teufel nicht fliegen können, krabbelte er aufs Dach der Kommandobrücke und ließ sich von dort geradewegs ins dunkle Wasser fallen. Ein trauriges Glucksen berichtete davon, dass schon das zweite Wesen von dem Gespensterschiff in die Wellen gestürzt war.
Die Autofähre schlingerte ungebremst vorwärts, der verschlafene Kapitän und seine Offiziere bekamen sie nicht mehr unter Kontrolle. Superfast hatte längst die sicheren Gewässer verlassen und wankte mit der Kraft zweier Zylinder auf eine Sandbank zu, vielleicht war es auch eine Insel oder Küste, das ließ sich in der nächtlichen Dunkelheit nicht ausmachen. Schließlich donnerte die Fähre aufs Land. Der Bug hob sich, und der Rumpf legte sich fast auf die Seite.
Manchmal kippen sogar Schiffe um. Das Schiffsspiel von Schutzengel Sulo Auvinen hatte ein katastrophales Ende gefunden. Zwar war es nicht zu einer Wiederholung des schrecklichen Unglücks der Estonia gekommen, aber bei Morgengrauen konnte man sehen, wie weit die riesige Autofähre den Bug in den Ufersand gebohrt hatte. Sie befand sich in gefährlicher Schräglage.
Die Passagiere wurden noch in der Nacht im Licht der Schiffsscheinwerfer an Land gebracht. Die Mannschaft half den Frauen und Kindern. Mit einem Kran wurden Wasser und Essen und stapelweise Decken ausgeladen. Es gab auch Verletzte, aber niemand hatte ernsthafte Schäden davongetragen. Als das Schiff am Ufer aufgelaufen war, war die Geschwindigkeit schon so gering gewesen, dass Passagiere und Mannschaft mit blauen Flecken davongekommen waren. Aaro Korhonen hielt sich den Kopf. Er hatte das Gefühl, eine neuerliche Gehirnerschütterung erlitten zu haben, er war mit dem Kopf an die Kabinenwand geschlagen, als das Schiff aufs Ufer stieß. Nun, er hatte schließlich schon Erfahrung damit, dass sein Schädel ab und zu durcheinandergeriet.
Auf dem Autodeck waren die Fernlaster von ihren Plätzen gerollt und gegen die Schiffswände geschlagen, viele waren umgekippt und schwer beschädigt. Lindells Leichenwagen hingegen standen fest angekettet an Ort und Stelle, allerdings auch sie in gefährlicher Schräglage. Die Zinksärge in ihrem Inneren waren an die Wand gerutscht, aber sonst schien alles in Ordnung zu sein.
Am Himmel brummten Hubschrauber, einer war aus Schweden gekommen, die anderen aus Tallinn und Turku. Es stellte sich heraus, dass die Havarie in estnischen Gewässern stattgefunden hatte. Die Autofähre war am Westufer der Insel Hiidenmaa in der Nähe des Dorfes Mölky gestrandet. Helfer eilten herbei, sie brachten Käse und estnischen Schnaps, Viru Valgea, mit. Sie bestaunten das imposante Bild, denn wann kommt es schon mal vor, dass ein zweihundert Meter langer Koloss mit der Schnauze im Ufersand liegt wie ein riesiger Wal, bereit zum Ausnehmen.
Ein Teil der Passagiere, sämtliche Familien mit Kindern und die Touristen, wurde mit Hubschraubern in Tallinner Hotels und zur Untersuchung in die Klinik gebracht. Am Vormittag kamen zwei Rettungsschiffe angebraust. Die finnischen und russischen Brummifahrer kümmerten sich um ihre Laster. Viivi Ruokonen und Ritva Nuutinen hätten ebenfalls mit den Hubschrauben nach Tallinn fliegen können, aber sie wollten bleiben und den Männern helfen, die Leichenwagen samt Leichen aus dem Schiff an Land zu bringen. Das war durchaus keine Kleinigkeit.
Auf Kosten der Versicherung der Reederei wurden mehrere Männer aus dem Dorf beauftragt, aus Balken und Brettern eine Fahrbrücke zu bauen, die von der Bugklappe des Schiffes über den Sand hinweg bis auf die Dorfstraße, die sich am Ufer entlangschlängelte, führen sollte. Aber zuerst mussten die Leichen der deutschen Feldwebel ans Ufer getragen werden. Für den Transport der schweren Zinksärge waren acht Mann erforderlich. Der Anblick war irgendwie feierlich. Besatzungsmitglieder, Aaro und Oskari sowie ein paar Männer aus dem Dorf trugen die Feldwebel unter tiefem Schweigen zur Uferstraße. Die Begräbnisstimmung wurde noch verstärkt durch das im flachen Wasser liegende riesige rot-weiße Schiff, dessen Bugklappe aufgerissen war wie ein gewaltiger Schlund. Drinnen auf dem Autodeck dröhnte Metall, dort versuchte man, die Lastwagen
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