Schutzengel mit ohne Flügel
zwanzig Knoten dahinbrausende Autofähre. Der Teufel war wachsam und folgte dem Engel auf dem Fuße.
Auf der Kommandobrücke befand sich nur ein Steuermann, er war Grieche, denn in Griechenland war die Reederei der Superfast beheimatet. Die Kommandosprache auf dem Schiff war dennoch Englisch. Sulo Auvinen besah sich interessiert die unzähligen Messgeräte und warf auch einen Blick aufs Radar. Das Schiff befand sich weit draußen auf der Ostsee, schloss er aus dem blauschimmernden Bild, auf dem sich ein heller, zeigerähnlicher Lichtstrahl bewegte.
Rauno Launonen drängte nun Sulo Auvinen, die Messgeräte und auch das Ruder zu beeinflussen. Der Teufel wollte erreichen, dass der Engel eine ernste Gefahrensituation heraufbeschwor, womöglich ein Seeunglück verursachte. Nach dem bisherigen Mist, den er verzapft hatte, würde er damit endgültig jedes Wohlwollen im Himmel verspielen. Das wiederum würde bedeuten, dass Auvinen leichter veranlasst werden könnte, die Seiten zu wechseln und dem Satan zu dienen. Ein genialer Gedanke. Teufel Launonen rieb sich die Hände.
Der Schutzengel fing jedoch nicht etwa an, eigenhändig das Schiff zu lenken, sondern drang in die Gedanken des Seemannes ein und veranlasste ihn, die Geschwindigkeit um ein paar Knoten zu erhöhen. Es war ein erhebendes Gefühl, auf dem dunklen Meer quasi das riesige Schiff zu lenken, in dessen Kabinen finnische und russische Brummifahrer und ein paar Touristen schliefen und auf dessen Autodeck Pkws und Dutzende Fernlaster standen, dazu zwei schwarze Leichenwagen mit Zinksärgen in ihrem Inneren, und in den Särgen lagen die erkalteten Leichen zweier deutscher Kriegsveteranen. Und die wiederum hatten als Folge der Obduktion im Bauch lauter Watte.
Mit stolz erhobenem Bug brauste die Autofähre in der Sommernacht der deutschen Küste und Rostock entgegen. Sulo Auvinen beschloss auszuprobieren, ob es ihm gelingen würde, den Steuermann so zu beeinflussen, dass der seinen Wünschen entsprechend den Kurs änderte. Er hatte Lust, mit dem riesigen Schiff ein wenig zu spielen. Als kleiner Junge hatte Sulo Schiffe aus Borke geschnitzt und in Pfützen schwimmen lassen. Jetzt verfügte er über eine große Autofähre, und groß war auch die Aufgabe, in der er unterwegs war. Die Kindheit lag weit zurück, jetzt spielte er die Spiele großer Jungs. Chef des Spiels war ein ehemaliger Mörder und jetziger Teufel.
Sulo Auvinen staunte selbst über seine geistigen Kräfte, denn der Steuermann befolgte tatsächlich seine Kommandos. Das Schiff änderte den Kurs zuerst Richtung Backbord, dann Richtung Steuerbord, ganz so, wie Sulo es wollte. Vielleicht war der Grieche ein frommer Mann, Griechenland ist ein katholisches Land, in dem die Leute streng gläubig sind. Auf so einem Boden fruchteten die Befehle des Schutzengels gut. Der Teufel lachte zynisch über diesen Gedanken des Engels.
Der alte Mann wurde kindisch. Das Schiff kurvte abwechselnd nach steuerbord und dann wieder nach backbord. Das Tempo war ganz unglaublich. Den Teufel schauderte es, und er verspürte Reue. Sulo Auvinen war zu weit gegangen. Rauno Launonen war ein Mörder, aber er fürchtete um sich selbst, und obwohl er schon vor langer Zeit gestorben war, half ihm das nicht. Mörder sind empfindlich, Teufel noch empfindlicher.
Sulo Auvinen genoss dieses schreckliche Spiel unendlich. Er vergaß völlig seine Aufgaben als Schutzengel und konzentrierte sich nur noch auf das Kurven des Schiffes. Die Diesel dröhnten mit rot glühenden Kolben, und immer wieder legte sich das Schiff in den schärfsten Kurven bedrohlich auf die Seite. Der Steuermann starrte mit glasigen Augen aufs dunkle Meer, auf dem hin und wieder die Lichter eines Leuchtturms oder eines Handelsschiffes blinkten.
Die übrige Besatzung der Fähre schlief in ihren Kabinen, doch das ungewöhnliche Verhalten des Schiffes ließ sie aus ihren Kojen springen. Aber es war schon zu spät. Im Maschinenraum hatten sich die superstarken Diesel so weit erhitzt, dass der Deckel des dritten Zylinders explodierte und wie eine Kanonenkugel an die Decke flog. Die Umdrehungen sanken auf ein Drittel, überall breitete sich Rauch aus, das Schiff ließ sich nicht mehr steuern. Durch das Dröhnen kam der griechische Steuermann endlich zur Besinnung. Auch Sulo Auvinen war erschrocken über das, was er angerichtet hatte. Er verließ die Kommandobrücke und flog aufs Meer hinaus. Der Steuermann folgte ihm, aber da er kein Engel war und nicht fliegen konnte, nahm er
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