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Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Titel: Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Grünke
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schlafdurchdrungen. Er sieht aus, als habe er erst vor zehn Minuten einen Fuß aus dem Bett gesetzt. Der Fahrtwind hat seine Haare seitlich zerzaust, vom schwarzen T-Shirt grinst ein Schweinekopf mit Sonnenbrille und Kopftuch im Zielflaggen-Muster.
    «Also, wir müssen entlang der Stahlträger abkleben, damit die Lackierer hier nicht alles versauen. Du kannst da hinten die letzten Bahnen abreißen, ich hol die neue Folie.»
    «Erst abreißen und dann wieder ankleben? Hä?»
    Ich erzähle ihm kurz von der Schlamperei der Leiharbeiter und gehe dann runter. Im Erdgeschoss scheppern die Deckel der Kompressoren. Tomasz und Pawel tragen Farbeimer vom Lkw in den ersten Stock. Es riecht extrem nach Lösemitteln.
    Peter steht mit Volker vor der Tür einer zukünftigen Wohnung, in der Rainer noch mit der Korrosionsschutzfarbe zugange ist. Volker trägt wieder sein USA -Kopftuch, doch die Stars & Stripes sind heute rotbraun überschmiert.
    Er hält eine Atemschutzmaske vom Hersteller 3 M in der Hand. Die kommt mir bekannt vor. Als Kunststudent habe ich das etwas kleinere Modell ohne Visier benutzt. Absolut lebensnotwendig, wenn man stundenlang mit lösemittelhaltiger Farbe arbeitet. Ich werfe einen Blick in den Raum und bin entsetzt. Rainer steht auf einer Leiter und besprüht kopfüber die Stahlträger. Und die Schutzmaske? Baumelt ihm lose um den Hals! Ist der irre?
    Ich muss mich kurz sammeln.
    «Ähm, Peter, wo sind die neuen Folien und das Klebeband?»
    «In der Hütte unterm Bett. Aber sei sparsam mit dem Klebeband. Ist nicht mehr so viel da!»
    Dann solltest du vielleicht einfach neues besorgen! Aber ich sage das schon gar nicht mehr. Es muss immer alles bis auf den letzten Zentimeter, die letzte Schraube, den letzten Nagel verbraucht werden, bis Peter mal reagiert. Dass dadurch häufig der ganze Ablauf verzögert wird, interessiert ihn wenig. Im Weggehen drehe ich mich kurz um.
    «Ach, und Rainer da so ohne Maske … das macht der nicht lange … Ich meine, das sind wirklich giftige Dämpfe!»
    «Dat is sein Problem, nicht unsers, ne?

    Das Abkleben ist zu zweit nicht weniger mühsam. Wenigstens dröhnt mal keine Maschine. Sich während der Arbeit unterhalten zu können ist auf dem Bau die Ausnahme.
    «Hier, nimm mal die Schere und schneid da hinten ab.»
    Matze schüttelt den Kopf, greift an die Halterung hinten am Gürtel und zieht ein Messer heraus.
    «Damit geht dat besser, glaub mir. Willste auch? Hab noch eins in der Tasche.»
    «Nee, lass mal. Ich nehm die Schere.»
    Wie die Leiharbeiter das Klebeband schief und krumm anbringen konnten, ist mir ein Rätsel. Wir beide ziehen eine Bahn nach der anderen, ohne auch nur ein bisschen von der Kante abzukommen. Matze hat keine zwei linken Hände, so viel kann ich schon sagen.
    «Und, Matze, was machst du sonst?»
    «Ich bau Fahrräder.»
    «Ach, wie das, mit dem du angerauscht kamst? Die baust du ganz alleine?»
    «Na ja, die Rahmen bau ich nicht. Ich kaufe Teile dazu und reparier die. Oder schieß ’n paar Schnäppchen bei eBay. Und damit stell ich dann neue Bikes zusammen. Unten steht ein Single Speed. Der Rahmen is ein Müsing.»
    «Das klingt interessant», nuschele ich, während ich die Schere mit den Zähnen festhalte und Klebeband ansetze. «Aufm Bau warst du aber schon mal, oder?»
    «Ja, hab ein paar Jahre bei ’ner Gerüstbaufirma gearbeitet. Dat is echt ’n Knochenjob. Und die Leute, mit denen du da arbeitest … da hat jeder zweite schon mal im Knast gesessen. Is aber lang her. Und du?»
    «Lange Geschichte. Hab im Januar hier angefangen und wollte eigentlich nur ein, zwei Monate bleiben. Brauchte dringend Geld. Vorher habe ich mich in London um Kunstprojekte gekümmert. Ich weiß selbst nicht so genau, warum ich immer noch hier bin.»
    Für einen Moment halte ich inne. Da ist sie wieder, die Frage, wie es weitergeht. Ich bin peu à peu in eine alltägliche Routine geraten, dass die Zeit nur so verflogen ist. Ich muss mir wohl eingestehen, dass ich mich all die Monate nie ernsthaft um eine Alternative bemüht habe. Doch ich beginne, die vergangene Welt zu vermissen. Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner.
    «Du bist Peters Assistent, hatter gesagt.»
    «Ach, Peter! Ich hab irgendwann angefangen, ihm E-Mails zu übersetzen oder zu dolmetschen, wenn ausländische Käufer kommen. Seitdem nennt er mich seinen Assistenten. Aber ich mach hier eigentlich alles. Letzten Monat habe ich noch gesandstrahlt, davor war ich auf dem Dach, und jetzt klebe

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