Schutzlos: Thriller (German Edition)
dass er denselben Wagen behielt … einfach weil wir nicht damit rechnen würden. Ich überlegte, beschloss aber, nicht über Funk Hilfe anzufordern, noch nicht. Wiederum wollte ich keine Aufmerksamkeit erregen.
Ich würde unseren beigen Schatten einfach im Auge behalten.
Die Kesslers waren jetzt ruhiger, nicht viel, aber etwas. Vorn auf dem Beifahrersitz spielte Ryan den Mann im Ausguck, und Marees Gemütspendel war auf unheimliche Weise von Hysterie zurück zu süß und neckisch geschwungen. Sie nannte mich weiter »Tour Guide«, was ich noch ärgerlicher fand als ihr panisches Geschrei vor einer halben Stunde. Joanne hatte sich wieder in sich selbst zurückgezogen und starrte mit leerem Blick aus dem Seitenfenster. Ich fragte mich, ob sie immer schon so furchtsam gewesen war oder ob der Zwischenfall in dem Deli vor sechs
Jahren – als sie sich selbst dem Tod gegenübersah und Zeuge davon wurde, wie auf die Inhaber und auf Ryan geschossen wurde – eine so nachhaltige Wirkung gehabt hatte. In diesem Ausmaß mochte es extrem sein, aber Joannes emotionale Verfassung als solche war es nicht. Die Reaktion von Mandanten, hinter denen ein Lifter oder Killer her ist, folgt häufig den Stadien der Trauer: Leugnen, Wut, Feilschen, Depression, Annahme. Joannes Teilnahmslosigkeit war eine Form des Leugnens.
Seit wir die Gegend der Kesslers über eine Ausweichroute verlassen hatten, hatte Joanne nur zwei Dinge gesagt. Zuerst hatte sie die zutreffende Bemerkung gemacht, dass zumindest ihre Stieftochter und Bill Carter nicht in Gefahr waren, da nun klar war, wo sich Loving und eventuelle Partner versteckt gehalten hatten. Dann hatte sie spekuliert, vieles würde dafür sprechen, dass es auch der Frau von Teddy Knox gut ging. Wenn Loving sie getötet hätte, hätte er nichts mehr gegen Teddy in der Hand, damit dieser nicht gegen ihn aussagte. Das war sicherlich eine Möglichkeit. Es konnte jedoch auch sein, dass es Loving egal war, was Teddy wusste und aussagen konnte, und dass er die Frau einfach deshalb getötet hatte, weil es praktischer war. Ich neigte zu dieser Ansicht, sagte aber nichts.
Ryan bat mich, Freddy anzurufen und herauszufinden, ob die Frau lebte, aber möglicherweise hatten die FBI-Agenten Loving angegriffen oder verfolgten ihn, und ich wollte sie nicht ablenken. Ich wusste, Freddy würde sich melden, wenn er etwas zu sagen hatte. Ich erklärte es Ryan, und er nickte, wenngleich er verärgert schien, weil ich den Anruf nicht machte. Er kehrte zu seiner improvisierten Beobachtungstätigkeit zurück.
Ich bog unvermittelt in den Parkplatz eines Burger King ab und blieb stehen.
Maree erschreckte mich, indem sie rasch fragte, ob sie für eine Minute verschwinden dürfe. »Da ist ein Münztelefon.«
»Nein. Bleiben Sie im Wagen.«
»Bitte.« Sie klang wie ein Teenager, der um einen Ausflug zum Einkaufszentrum bettelt.
»Nein«, wiederholte ich.
»Aber es würde nicht zurückverfolgt werden oder so. Ehrlich, ich weiß alles darüber.«
»Worüber?«, fragte ihre Schwester.
»Überwachung. Ich habe es einmal bei NCIS gesehen. Spione nutzen Münztelefone, weil die sicher sind.«
»Tut mir leid, keine Anrufe«, sagte ich.
»Ach, Sie sind ein Langweiler. Ich verlange einen Anwalt!« Sie verfiel in ein jugendliches Schmollen. Es nervte mich noch mehr, und ich ignorierte sie.
Ich wartete darauf, dass uns das beigefarbene Auto überholte. Was es nicht tat. Nach zehn Minuten kehrte ich auf die Straße zurück und gab Gas, versuchte, gerade noch Ampeln zu erwischen, bevor sie auf Rot umsprangen, und wurde dafür ein-, zweimal angehupt. Ich sah auch einen gestreckten Mittelfinger. Aber keinen beigen Wagen.
Mein Headset verkündete, dass Freddy anrief.
Endlich …
»Sind Ihre Männer in dem Wagen vor dem Haus okay?«, fragte ich.
»Ja. Ein paar blaue Flecken. Hätten angeschnallt bleiben sollen. Sie haben ihre Lektion gelernt.«
»Und was ist mit der Schießerei an der Uni?« Ich war überzeugt gewesen, dass es eine Finte war, aber ich wusste es nicht. Natürlich wäre ich betrübt über Opfer gewesen; vor allem aber interessierte mich, ob falscher Alarm eine Technik war, die Loving seinem Repertoire hinzugefügt hatte. Noch etwas, das man zu seiner Akte geben musste.
»Sie hatten recht, mein Sohn. Purer Schwindel. Absolut nichts dahinter. Aber sechzig Streifenbeamte und FBI-Agenten waren fast eine Stunde lang damit beschäftigt.«
»Okay. Loving?«
»Ist glatt entwischt. Keine Spuren, kein
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