Schutzlos: Thriller (German Edition)
gedacht.«
»Können Sie den Wagen beschreiben?«
»Ehrlich gesagt habe ich ihn mehr gehört als gesehen. Wo sollen wir hin?«
»Fahren Sie nicht. Gehen Sie nicht in die Nähe des Autos. Suchen Sie sich eine Stelle auf dem Grundstück, wo Sie jemanden kommen sehen und gute Deckung haben.« Ich riskierte einen Blick auf das Satellitenfoto. »Ich glaube, ich sehe eine kleine Lichtung in der Nordostecke Ihres Grundstücks, nahe der Straße.«
»Ja, da ist eine kleine Wiese. Auf der anderen Seite stehen ein paar Bäume. Dort können wir hingehen. Das Gelände liegt etwas erhöht.«
»Gut. Haben Sie etwas zur Tarnung?«
»Anglerjacken, dunkelgrün.«
»Das wird genügen. Stellen Sie das Handy auf stumm.«
Ich hörte Klappern und Reißverschlussgeräusche. »Geht es so, Onkel Bill?«
»Ja, gut.«
Das Mädchen geriet offenbar nicht in Panik. Ich war zufrieden.
»Loving ist bewaffnet, und er hat einen Partner, der ebenfalls bewaffnet ist«, fuhr ich fort. »Er hat sandfarbenes Haar und trägt möglicherweise eine grüne Jacke. Schlank. Ein verdammt guter Schütze. Aber trauen Sie niemandem. So, und jetzt gehen Sie los. Ich bin in etwa fünfzehn Minuten bei Ihnen. Das FBI ist ebenfalls unterwegs.«
»Was ist mit den Nachbarn?«
»Loving weiß jetzt, wo Sie wohnen. Er wird sich nicht mit ihnen aufhalten. Gehen Sie zur Wiese. Wir legen jetzt beide auf. Sie müssen sich konzentrieren.«
Ich musste mich ebenfalls aufs Fahren konzentrieren. Falls Loving tatsächlich auf Amandas Blog gestoßen war, würde er sich freuen, ihren Aufenthaltsort auf diese Weise herausgefunden zu haben, überlegte ich. Nichts verschafft einem einen größeren Vorteil als das Kind eines Mandanten.
27
Dreiunddreißig Minuten nach meiner Abfahrt vom sicheren Haus stellte ich den Honda in einem Gebüsch vor Carters Haus am See ab und stieg aus. Ich aktivierte den stummen Alarm.
Ich zog einen waldgrünen Overall aus meiner Ausrüstungstasche und zog ihn an, warf die Tasche über die Schulter und ging rasch die Straße entlang. Am Straßenrand sah ich Spuren, die darauf hindeuteten, dass ein Wagen hier vor Kurzem gehalten hatte und dann wieder weggefahren war. Trittspuren in der weichen Erde führten in die Richtung des Hauses, das etwa dreihundert Meter entfernt im Wald lag.
Ich musste davon ausgehen, dass Loving hier war.
Ich ließ den Blick über das Gelände schweifen und bestimmte
die wahrscheinlichste Route, die er eingeschlagen haben konnte. Nachdem ich über eine niedrige Steinmauer gesprungen war, die wohl nur die dümmsten und nervösesten Tiere abschrecken sollte, bewegte ich mich rasch entlang Lovings Pfad, der für viele Leute wohl unsichtbar war, für mich aber offen zutage lag – aufgrund eines Interesses, dem ich seit Jahren nachging.
Mit Mitte zwanzig schloss ich in Austin, Texas, eines meiner vielen Studienfächer ab. Ich war immer gern gewandert und hatte mich zum Ausgleich für die sitzende Lebensweise dem Orientierungslaufclub an der Universität angeschlossen. Dieser aus Schweden stammende Sport ist ein Wettkampf, bei dem man sich mit Hilfe einer speziellen Karte und eines Kompasses durch eine Wildnis bewegen muss, die man noch nie gesehen hat; an verschiedenen Kontrollpunkten muss man seine Karte abstempeln lassen. Wer als Erster den »Doppelkreis« – das Ende der Route auf der Orientierungskarte – erreicht, hat gewonnen.
Ich verliebte mich in den Sport; er stellte eine willkommene Abwechslung zu den reglosen Stunden im Hörsaal und vor dem Computer oder beim Brüten über obskuren Prüfungsaufgaben dar.
Während eines Wettkampfs in Austin freundete ich mich mit einem Konkurrenten an, einem Agenten der Drogenbekämpfungsbehörde DEA. Er war Spurenleser – ein Experte darin, Leute aufzuspüren, hauptsächlich illegale Einwanderer und Drogenschmuggler, und er weckte mein Interesse für das Thema. Es gibt, anders als beim Orientierungslauf, keine Wettkämpfe im Spurenlesen, aber Grenzschutz und DEA hielten regelmäßige Trainings ab, und ich durfte an einigen teilnehmen.
Spurenlesen war für mich wie eine Art riesiges Brettspiel, das man im Freien spielt, mit sich selbst als Spielstein. Ich war auf Anhieb begeistert, und wenn ich nicht bei Orientierungsläufen mitmachte, ging ich ins Gelände und übte, verfolgte Tiere und Wanderer, die nie etwas davon erfuhren. Ich verdiente mir an
den Wochenenden sogar ein bisschen was bei der DEA dazu, indem ich bei Trainingseinheiten einen Drogenkurier spielte, der den
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