Schutzlos: Thriller (German Edition)
das linke. »Das hier.«
»Warum?«
Ich hatte nicht gewusst, dass ich mein Urteil begründen musste. »Ich weiß nicht. Es ist halt so.«
»Kommen Sie, strengen Sie sich an.«
»Ich weiß es wirklich nicht, sie sind beide hübsch.« Ich warf einen Blick in den Flur. »Ich muss mit Ihrem Schwager reden.«
»Kommen Sie, Corte, tun Sie mir den Gefallen. Sie haben mir das Wochenende gründlich versaut. Sie wollen nicht einmal mein Masseur sein. Sie sind mir etwas schuldig.«
Ich zügelte meine Ungeduld und sah noch einmal auf die Bilder. Plötzlich hatte ich eine Eingebung. »Es gefällt mir, weil man sich fragen muss, was Ihr Ziel war. Sie sagten, es ging darum, einen Konflikt zu zeigen. Das schafft das linke besser. Es ist konzentrierter.«
»Auch wenn es weniger künstlerisch ist.«
»Ich bin mir nicht sicher, was künstlerisch bedeutet, aber ja.«
Sie hob die Hand, um mich abzuklatschen. Widerwillig hob ich meine ebenfalls, und sie schlug darauf. »Genau das dachte ich auch.«
Maree berührte nun das Pad. Die GSI-Software ließ die Bilder augenblicklich zu Thumbnails schrumpfen, die sie in einen
Ordner zurückdirigierte. Dann begann sie eine Dia-Show, die Bilder tauchten der Reihe nach auf dem Schirm auf, blieben eine Weile und wurden dann vom nächsten ersetzt.
Ich habe keinerlei künstlerische Begabung, aber ich kann Dinge schätzen, die technisch gut gemacht sind. Ihre Bilder waren alle scharf und schienen gut komponiert zu sein. Es war jedoch der Gegenstand ihrer Fotos, der mich anzog. Wären es Stillleben oder abstrakte Bilder gewesen, hätten sie mich nicht interessiert, aber Maree hatte sich auf Porträts spezialisiert, und es gelang ihr anscheinend, das Wesen ihrer Subjekte perfekt einzufangen, wenngleich, da sie eine moderne Digitalkamera benutzte, vermutlich hundert aussortierte Bilder auf eins kamen, das sie behielt. Ich hielt mehrere der Bilder während der Dia-Show an. Maree beugte sich zu mir herüber.
Arbeiter, Mütter und Kinder, Geschäftsleute, Eltern, Polizisten, Sportler … Es gab kein Thema, aber Maree hatte sie alle in einem emotionalen Augenblick eingefangen. Zorn, Liebe, Enttäuschung, Stolz.
»Die sind gut. Sie haben Talent.«
»Wenn sie etwas oft genug tun, landen Sie zwangsläufig den einen oder anderen Treffer. Hey, wollen Sie sehen, wen Sie bewachen?«
Ich runzelte die Stirn.
Sie tippte, und ein neuer Ordner erschien. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, was sie meinte – und was ich da sah. Familienalben von Maree, Joanne und ihren Eltern und anderen Verwandten, wie ich annahm. Maree verkündete Namen und Informationen.
Ich hörte Abes Stimme im Kopf.
Bring nur das über deine Mandanten in Erfahrung, was du brauchst, um sie am Leben zu halten. Benutze ihre Namen nicht, sieh dir keine Kinderfotos an, frag sie nicht, ob es ihnen gut geht, es sei denn, ihr wart unter Beschuss und du musst einen Arzt rufen …
»Ich muss wirklich mit Ryan reden«, sagte ich.
»Fürchten Sie sich doch nicht vor ein paar Familienbildern, Corte. Es ist nicht mal Ihre Familie. Ich bin diejenige, die Angst haben müsste.«
Das Bild eines gepflegten Mannes mit Bürstenschnitt in Khakihose und kurzärmligem Hemd wurde eingeblendet. Maree drückte auf PAUSE. »Der Colonel. Unser Vater … Und ja, die Leute nannten ihn den ›Colonel‹. Lieutenant Colonel, ein kleines Tier, kein großes.«
Dennoch, der Mann war imposant, keine Frage.
Maree senkte die Stimme. »Sagen Sie es Dr. Freud nicht, aber Jo glaubte als Kind, sie würde ihn heiraten. Stattdessen bekam sie Ryan. Dad war ein Karrieremilitär, stark, still, distanziert, lachte nie … Ha, genau wie Sie, Corte … Hey, Sie wissen, dass ich nur Quatsch mache, oder?«
Ich ignorierte ihre Bemerkung und sah mir weiter die Bilder an. Auf vielen davon war Maree allein zu sehen und Joanne mit ihrem Vater.
»Sie war sein Liebling, Jo. Die perfekte Sportlerin, die perfekte Schülerin. Ziemlich langweilig, muss ich sagen. Dad brachte sie immer zu ihren Fußballspielen und Leichtathletikwettkämpfen. Er hat es versucht mit mir; ich kann nicht behaupten, dass er es nicht versucht hätte. Aber ich war eine sportliche Niete. Ich war ein totaler Trampel. Dad rieb es mir nicht unter die Nase, ich hörte nie ein: ›Ach, deine Schwester ist so perfekt‹ oder so etwas. Aber es fühlte sich so an. Also schlug ich die andere Richtung ein. Ich wurde die wilde Schwester. Die verantwortungslose. Ich schmiss die Schule. Ich wurde mit siebzehn,
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