Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
in etwas für uns Brauchbares umwandelst, dann mache ich mir um deinen Part schon mal keine Sorgen.« Er blickte die restlichen Männer an. An einem von ihnen blieb sein Blick haften. Er warf ihm die Augenbinde zu.
»Servatius, du bist an der Reihe!«
Der dunkelhaarige Mann erhob sich, schüttelte seine Arme aus und ging bis zur Tür. Dort zog er die Binde über sein Gesicht, nickte einmal kurz und setzte sich in Bewegung. Wie bei der Wachablösung einer Leibgarde bewegte er sich im Stechschritt in Richtung der Mitte des Raumes. Nach genau acht Schritten führte er eine zackige Neunziggraddrehung aus.
Die anderen schluckten. So wie er ging, marschierte er direkt auf den Nachbau der Vitrine zu. Magnus hob die Hand und bedeutete den anderen, sich ruhig zu verhalten. Noch einen Schritt, und Servatius würde direkt in die Holzinstallation laufen. Magnus hielt seine Glocke auf Hüfthöhe, da knallte das Schienbein des Südländers mit voller Wucht gegen eine der Querstreben. »Au, Scheiße!«, schrie er, dann zog er sich reflexartig die Augenbinde herunter, fasste sich an den Unterschenkel und trat noch einmal leicht gegen die Vitrinenattrappe, was Wunibald mit einem aggressiven »Hey, geht’s dir noch gut?« quittierte. Servatius krümmte sich vor Schmerzen am Boden. Die anderen blickten ihn besorgt an, nur Nikolaus zeigte grinsend seine Zahnlücken.
Magnus lief kommentarlos zu ihm und ließ die Glocke zweimal ertönen. »Noch mal!«
Servatius sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf, während er sich das Bein rieb. Er zog seine Hose hoch und gab so den Blick auf einen blutenden Riss frei, um den herum der Fuß gerade bläulich anschwoll.
Magnus kniff die Augen zusammen. Verächtlich sah er auf die Wunde, streckte dem Mann am Boden dann aber eine Hand entgegen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog sich Servatius daran hoch, knickte mit dem verletzten Bein jedoch wieder ein.
»Morgen kannst du es«, zischte Magnus und entzog seinem Gegenüber die Hand, die der noch immer festhielt.
»Nikolaus, Wunibald, bringt unseren Patienten nach draußen! Wir sind ja kein Lazarett hier.« Dann wandte er sich Servatius zu: »Und nun geh mit Gott, du Weichei!«
Donnerstag, 9. September
Dieser Morgen lief zu Kluftingers Beruhigung deutlich normaler ab als der vorangegangene. Wenn man davon absah, dass sich Erika nicht dem aus einem Marmeladenbrot und einer Tasse Kaffee bestehenden Frühstück ihres Gatten widmete, sondern, während der Zeitung lesend aß, in der Küche ein opulentes Morgenmahl aus Eiern, verschiedenen Wurst- und Käsesorten, Kuchen, frischem Obstsalat und sogar »Gemüsesticks mit Joghurtdip« zubereitete. Der Kommissar wusste, dass er vorab davon ohnehin nichts bekommen würde, deshalb fragte er auch gar nicht danach.
Nach dem für das Ehepaar Kluftinger nach wie vor unerlässlichen Abschiedskuss hatte Erika darauf bestanden, unbedingt heute Abend noch nach einem neuen Teppich sehen zu wollen, wenn ihr Mann rechtzeitig von der Arbeit käme und das Auto schon fertig wäre. Der Kommissar machte ihr da freilich keine allzu großen Hoffnungen. Dann fuhr er los. Da er früher als nötig sein Ziel erreichte, beschloss er kurzerhand noch ein paar Kontrollrunden durch die Stadt zu drehen. Vielleicht hatte der Autodieb kalte Füße bekommen oder ein schlechtes Gewissen, hatte keine Verwendung mehr für den Passat oder war womöglich unzufrieden mit ihm und hatte ihn einfach zurückgestellt … nichts.
Resigniert parkte Kluftinger den Audi im engen Hof und gab etwas wehmütig den Schlüssel an der Pforte ab. Oben teilte ihm Eugen Strobl mit, dass sich Sandy krankgemeldet habe.
»Schwanger, sag ich doch«, kommentierte das der Kommissar und begab sich in sein Büro, das er zwei Minuten später wieder Richtung Besprechungsraum verließ. Die Morgenlage stand an. Die Kollegen der Abteilung hatten bereits Platz genommen und warteten nur noch auf Kluftinger. Als der sich gesetzt hatte, sah er einen nach dem anderen an und begann: »Also, Männer, folgende Sachlage hat sich mittlerweile …«
»Du, Klufti, wie schaut’s erst mal mit einem Kaffee aus?«, fiel ihm Roland Hefele ins Wort.
Kluftinger sah ihn stirnrunzelnd an.
»Ja, ich meine, es gibt gewisse Traditionen, mit denen man nicht brechen sollte, oder?«
»Soll ich jetzt vielleicht auch noch den Kellner für euch spielen, wenn die Henske krank ist?«
»Ach, die Sandy ist krank…«, sagte Hefele in betroffenem Tonfall, »weiß man denn, was sie hat?«
Die anderen
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