Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
schallte ein überraschend munteres »Herein«. Kluftinger und Strobl betraten ein schlichtes, helles Zimmer mit je einem Bett auf der linken und der rechten Seite, dazu ein kleiner Esstisch mit zwei Stühlen, zwei dunkelgrüne Sessel und zwei Kommoden. Ein Mann saß am Tisch, während ein zweiter in einem der Sessel zu schlafen schien. Im Fernseher lief eine Reportage, in der sich ein Paar gerade aufs Übelste beschimpfte.
»Grüß Gott!«, rief der kleine, schmächtige Mann mit dichtem grauen Haar und Stoppelbart, dessen wache Augen Kluftinger sofort auffielen. Er trug eine dunkelgrüne Strickjacke, eine braune Hose und Filzpantoffeln. »Sie wollen zum Sepp, oder? Der schläft. Hat keinen guten Tag heut! Kommen Sie vom Sozialamt?«
»Nein«, erklärte der Kommissar, »wir wollen zu Heinz Rösler, das müssten dann ja Sie sein, oder?«
»Das bin ich, ja. Was kann ich denn für Sie tun?«
»Kluftinger, Kripo Kempten – mein Kollege Eugen Strobl.«
Dem Kommissar entging nicht, dass sich Rösler nervös die Hände rieb und mit der Zunge über seine Lippen leckte: »Ich … ich hab nichts mehr auf dem Kerbholz. Ich hab für alles gebüßt. Oder, um ehrlich zu sein, es ist verjährt.«
Kopfschüttelnd präzisierte Strobl: »Es geht nicht um Diebstahl oder Raub, Herr Rösler. Es geht um Mord!«
»Mord?«, entfuhr es dem Alten, der nun seltsamerweise beruhigt wirkte. »Ich hab mein Leben lang nie Hand an einen Menschen gelegt. Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Ich war kein Vorbild für die Jugend, aber ich hab nie gegen meinen Ehrenkodex verstoßen.«
Der andere Mann im Sessel fuhr kurz hoch und begann zu husten. »Herr Rösler, sollen wir nicht lieber rausgehen? Ich weiß ja nicht, ob Ihr Zimmergenosse hier das alles mitbekommen soll.«
»Ach was«, winkte Rösler ab, »der kriegt nix mehr mit, der Möhwald. Ein armer Hund. Aber was will man machen? Wir sind jetzt schon seit drei Jahren ein Team. Letzten Sommer haben wir zusammen noch die Spieleabende aufgemischt und den Damen Komplimente gemacht. Denken Sie sich nichts. Worum geht es denn jetzt genau?«
»Sie haben sicher in der Zeitung gelesen, dass der Kaldener Burgschatz wieder ins Allgäu zurückkehrt, oder?«, wollte Strobl wissen.
»Gelesen? Ich hab mir alle Berichte aus der Zeitung ausgeschnitten und aufgehoben«, sagte Rösler, hob das gemusterte Wachstuch auf dem Tisch an und zog eine kleine Schublade auf. Er entnahm ihr eine Klarsichthülle mit einigen Zeitungsausschnitten und schwenkte sie in der Luft.
Strobl sah Kluftinger skeptisch an, ein Blick, den Rösler sofort bemerkte: »Nein, nein, da liegen Sie völlig falsch. Ich bin nicht mehr im Geschäft! Ich klau Ihnen den Schatz nicht. Rein nostalgisches Interesse, wirklich. Weiter nichts. Ich bin schon zu tattrig für so eine Aktion. Und ich hab auch keine Lust, das Heim wieder gegen eine Zelle einzutauschen. Auch wenn es nicht so viel anders aussieht – die Türen stehen offen hier. Und das soll so bleiben, in den paar Wochen oder Monaten, die ich noch habe!«
Mit gerunzelter Stirn sahen die Beamten den Mann vor ihnen an.
»Ja, ich bin unheilbar krank. Aber ich will kein Mitleid deswegen – ich habe mein Leben gelebt, glauben Sie mir!«
»Das glauben wir Ihnen gern, Herr Rösler«, erklärte der Kommissar. »Sie könnten uns aber trotzdem helfen. Bitte erzählen Sie uns ein bisschen von dem Raub damals. Sie können uns damit weiterbringen in einer Mordermittlung.«
»Mordermittlung! Ich hab keine Ahnung, was ich Ihnen dazu beisteuern könnte, aber bitte: Was möchten Sie wissen?«
»Also, der Schatz ist ja verschwunden auf einem Transport von München, wo er restauriert und genau untersucht worden ist. Man hat ihn da verpackt, und als man die Transportkisten wieder ausgepackt hat, war alles leer. Man hätte Sie wohl nie erwischt, wenn Sie nicht auf den Lockvogel reingefallen wären, der Ihnen das Zeug abkaufen wollte. Sie haben aber nie gesagt, wie Sie es angestellt haben.«
»Wenn Sie das wissen wollen, dann muss ich Sie gleich enttäuschen. Falls Sie mir die richtige Version präsentieren, dann sag ich Ihnen, dass Sie das Geheimnis gelüftet haben, so ehrlich bin ich. Aber draufkommen müssen Sie schon selber.« Röslers Augen funkelten, er schien richtig aufzuleben. Und es tat ihm sichtlich gut, dass sich jemand für ihn interessierte. Und noch etwas glaubte der Kommissar zu spüren: Der alte Mann, den er da vor sich hatte, war nicht der Drahtzieher eines erneuten Raubes. Es
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