Schutzwall
sagte er unschlüssig, »vielleicht hätten Sie’s tun sollen.«
Laffter nickte und bearbeitete wieder sein Steak, den Salat, den Spargel und die gebackene Kartoffeln, die er mit sechs Klümpchen Butter bestrich. Er redete erst wieder, als er mit allem fertig war. Die halbleere Flasche Wein hochhaltend, blickte er fragend zu Dill hinüber, der den Kopf schüttelte. Laffter goß den Rest der Flasche in sein Glas und trank. Er rülpste diskret, zündete sich eine Zigarette an und fläzte sich behaglich hin, beide Ellbogen auf den Tisch gestützt. Es war eine Haltung, die zu Vertraulichkeiten einlud, ja geradezu zum Austausch von Geheimnissen. Dill fragte sich, wie viele tausendmal der Alte wohl schon so dagesessen haben mochte.
»Okay«, sagte Laffter, »was ist es, das Sie eigentlich wissen wollen?«
Dill starrte ihn eine Weile gedankenverloren an und machte sich dann wieder daran, die letzten Fetzen Fleisch vom Knochen seines Steaks abzuschneiden. Dill aß das pure Fleisch immer zuletzt. Aus irgendeinem Grund mißtraute er denen, die es nicht so hielten wie er. Seine Exfrau, so erinnerte er sich, hatte es immer zuerst gegessen.
»Meine Schwester«, sagte er, »wer hat sie Ihrer Ansicht nach umgebracht?«
»Sie fragen also nach dem geheimnisvollen Mann im Hintergrund, wie?«
»Richtig.«
»Jemand mit viel Geld.«
»Warum?«
Laffter blies genüßlich Rauch durch die Nase. »Diese Bombe, das war mit Sicherheit ein Profi: der C4-Plastiksprengstoff, der Quecksilberzünder – allererste Klasse. Das bedeutet wahrscheinlich, daß es jemand von außerhalb war, und das kostet immerhin viel Geld … ergo, jemand, der sehr reich ist.«
»Okay«, sagte Dill, »soviel zum ›Wer‹. Aber wie ist es mit dem ›Warum‹?«
»Soll ich raten?«
»Ja, sicher.«
»Sie hat irgend etwas herausgefunden, was dem, der den Bombenleger angeheuert hat, offenbar klargemacht haben muß, daß es mit seinem Reichtum ein Ende haben könnte.«
»Was?«
»Sie meinen, was sie wohl herausgefunden haben mag?«
Dill nickte.
»Nun, sie war schließlich bei der Mordkommission, also hat sie vielleicht herausgefunden, wer John getötet hat – natürlich unseren mysteriösen John.« Er legte eine Pause ein. »Ich hab von dem Duplex und von dem Geld und allem anderen gehört. Ich hab’s aber nicht verwendet, bisher jedenfalls nicht, aber vielleicht muß ich das wohl noch tun.«
»Sie glauben also, daß sie die Hand aufgehalten hat?« fragte Dill und schnetzelte den letzten Brocken Fleisch vom Knochen.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Laffter.
»Ich genausowenig – und immerhin war sie meine Schwester.« Dill schob das letzte Stückchen Steak in seinen Mund, kaute, schluckte und legte Messer und Gabel ordentlich zurück auf seinen Teller.
»Sie essen das Lendenstück immer zuletzt?« fragte Laffter.
»Immer.«
»Aha«, sagte der Alte, »ich eß meins immer zuerst.«
7
Die Digitaluhr und die elektronische Temperaturmessung an der First National Bank zeigten um 23 Uhr und 12 Minuten genau 30 Grad Celsius an, als Dill die Lobby des Hawkins Hotel betrat, nachdem er seinen gemieteten Ford in der Tiefgarage abgestellt hatte. Die nicht mehr ganz junge Frau, die Dill für einen Dauergast hielt, saß noch immer in der Lobby und las ein Buch. Dill versuchte, den Titel zu lesen. Das tat er immer. Sie ertappte ihn dabei, senkte schnell das Buch und funkelte ihn an.
Dill lächelte ihr zu. Zu spät! Der Titel auf dem Buchrücken lautete: The Oxford Book of English Verse.
Hinter dem Pult der Rezeption hatte ein neuer Bediensteter Stellung bezogen. Dill blieb kurz stehen, um nachzusehen, ob etwas in seinem Fach lag. Es war nichts drin, also lächelte er dem jungen Mann aufmunternd zu und ging zu der Reihe von vier Fahrstühlen hinüber. Er tippte auf den Rufknopf, schaute auf die Leuchttafel und stellte fest, daß die nächste abwärtsfahrende Kabine gerade im fünften Stock war. Er spürte eine leichte Berührung an der Schulter, und eine Männerstimme sagte: »Mr. Dill?«
Die Stimme war ein volltönender, abgrundtiefer Baß mit einem weichen »R« im »Mister«. Als Dill sich umdrehte, entdeckte er, wie gut die Stimme zu ihrem Besitzer paßte, der so aussah, als brauchte er den Baß zur Ergänzung für seine gewaltige Statur: Er war riesig und breit wie ein Garagentor; außerdem war er extrem häßlich.
Allmächtiger, dachte Bill, der ist sogar noch häßlicher als ich. Doch dann lächelte der Riesenkerl, und alle Häßlichkeit war
Weitere Kostenlose Bücher