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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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zulegen.
    Bereits 1917 waren die Parzellen erschlossen, die Straßenführung festgelegt und das Gefälle begradigt, als das Land in den Krieg eintrat. Dr. Cherry faßte den weisen Entschluß, die weitere Entwicklung bis nach Kriegsende aufzuschieben.
    In der ersten Februarwoche 1919 brachte die Tribune eine Titelgeschichte, in der enthüllt wurde, daß Dr. Cherry von Geburt hebräischen Glaubens wäre und unter seinem richtigen Namen Mordecai Cherowski entweder in Polen oder in der Ukraine das Licht der Welt erblickt hätte. Genauere Angaben hinsichtlich seiner Herkunft vermochte die Tribune nicht beizubringen, doch immerhin gelang es ihr, fast jedermann davon zu überzeugen, daß Dr. Cherry gar kein richtiger Zahnarzt wäre. Allerdings, so räumte die Tribune ein, hätte er in Texas wohl eine Menge Zähne gezogen, doch gehe das zurück auf seine Zeit als Kalfaktor auf der Krankenstation des Huntsville State Prison, wo er zwei Jahre Gefängnis wegen Betruges abgesessen hätte. 1909 entlassen, hätte Dr. Cherry dann seinen Namen geändert und wäre hierher in die Stadt gezogen, wo er seine Praxis eröffnete.
    Seine Approbation bestünde aus einem Diplom von einer zahntechnischen Fachhochschule in Wichita Falls, das stolz sein Wartezimmer zierte. Seine Praxis blühte auf, und es herrschte einhellig die Meinung, daß er ein verflixt guter Zahnarzt wäre. Die Tribune bezeichnete das Diplom als Fälschung. Am ersten März 1919 fuhr Dr. Cherry von seiner nun nicht mehr existierenden Praxis nach Hause, verriegelte hinter sich die Tür des Badezimmers und schoß sich eine Kugel in den Kopf. Er war neunundvierzig Jahre alt gewesen.
    Im Spätsommer 1919 wurde das Erschließungsgelände mit Namen Cherry Hills zu einem Spottpreis von dem Ölmillionär Phillip K. »Ace« Dawson erworben, einem ehemaligen Schnapsschmuggler und Berufsspieler aus Beaumont, der einst selbst sechs Monate in Huntsville abgerissen hatte. Ace Dawson hielt zwei Drittel der Anteile an diesem Entwicklungsprojekt, das restliche Drittel gehörte seinem stillen Teilhaber James B. Hartshorne, dem neunundzwanzigjährigen Chefredakteur und Herausgeber der Tribune.
    Um 1920 waren die Straßen von Cherry Hills gepflastert, die Versorgungsleitungen verlegt, der Bau des Cherry Hills Golf and Country Club näherte sich seiner Vollendung, und Ace Dawsons Herrenhaus im Tudorstil mit seinen sechsunddreißig Zimmern erhob sich inmitten von sieben Hektar jungfräulichen Landes, wo früher nur Schwarzeichen und bois d’arc gestanden hatten. Ace Dawson lebte bis Heiligabend 1934 in dem Haus, als er von dem Zwillingspaar Dan und Mary Jo McNichols gekidnappt wurde, die fünfzigtausend Dollar Lösegeld verlangten, es auch bekamen und Ace Dawson dann neunmal in den Rücken schossen. Dan und Mary Jo wurden am dritten Juni 1935 selbst von Texas Rangers in Galveston erschossen, kurz nach dem fünfundzwanzigsten Geburtstag der Zwillinge und lange nachdem sie das ganze Geld ausgegeben hatten.
    Die Witwe Dawson ließ eine drei Meter fünfzig hohe Umfassungsmauer aus Ziegeln um das gesamte Grundstück ziehen, nachdem der Leichnam ihres Mannes außerhalb von Liberal, Kansas, auf dem Rücksitz einer verlassenen Essex Super Six Limousine, Baujahr 1929, gefunden worden war. Sie und ihr siebzehnjähriger Sohn Ace junior lebten nur mit den Dienstboten zusammen allein in ihrem Haus. Sie starb 1973 im Alter von fünfundachtzig Jahren und hinterließ alles, einschließlich des Herrenhauses mit seinen sechsunddreißig Zimmern, Ace junior, der sich schon vor langer Zeit nach Marin County in Kalifornien abgesetzt hatte. Ace junior hatte jahrelang erfolglos versucht, seine alte Heimstatt abzustoßen, bis dann eines Tages Jake Spivey auftauchte und es ihm zu einem ungenannten Preis abkaufte, von dem die einen behaupteten, er hätte unter zwei Millionen gelegen, und andere meinten, es wäre höher gewesen, weitaus höher.
    Dill kannte fast die gesamte Geschichte von Cherry Hills, vom Selbstmord des Zahnarztes und von Ace Dawson und das Übrige. Sie war ein fester Bestandteil der heimatlichen Folklore, mit der er aufgewachsen war. Einiges davon ging ihm sogar wieder durch den Kopf, während er über den Lee Boulevard nordwärts fuhr. Der Lee, TR und Grand Boulevard waren die drei gewundenen Ausfallstraßen, die das langweilige Gittermuster der Stadt durchbrachen. Als er fast automatisch dahinfuhr, ohne nachdenken zu müssen, welche Richtung er zu nehmen hatte, versuchte Dill sich zu erinnern, ob

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