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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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Kommentarseite der Tribune auf, um zu sehen, was sich wohl verändert haben mochte, und entdeckte zu seiner perversen Genugtuung, daß alles noch beim alten war. Sie waren noch alle vollzählig da: Buckley, Kilpatrick, Will, Evans und Novak – wie irgendeine alte Anwaltskanzlei, die für immer und ewig ihren hoffnungslosen Fall vor den Schranken der Geschichte vorträgt.
    Als er die Seiten durchblätterte, bemerkte Dill, daß die Tribune keinen Gesellschaftsteil mehr enthielt – zumindest wurde er nicht mehr so genannt. Statt dessen hieß er jetzt Lokales – aber es bedeutete noch immer sechs Seiten voller Berichte über Partys, Hochzeiten, Verlobungen, Kochrezepte und Ann Landers. Dill befand, daß die Tribune im ganzen gesehen noch immer dasselbe vergammelte Käseblatt der Mittelschicht war wie seit alters her.
    Es klopfte an der Tür, und Dill ließ den Zimmerkellner ein, der das Frühstückstablett auf den Schreibtisch stellte und lächelte, als Dill ihm zwei Dollar anstatt des üblichen einen Dollars Trinkgeld gab. Dill trödelte bis neun Uhr mit dem Frühstück herum, trank Kaffee aus der bauchigen, silbernen Thermoskanne und füllte sich weiter daraus nach, nachdem der Kaffee schon kalt geworden war.
    Um neun Uhr stand er auf, ging zu seinem Koffer hinüber, nahm die Jake-Spivey-Akte heraus, die ihm von Betty Mae Marker ausgehändigt worden war, öffnete sie, notierte sich eine Telefonnummer, ging zurück zum Schreibtisch und wählte die Nummer am Telefon. Auf das dritte Klingeln wurde sein Anruf von einer weiblichen Stimme beantwortet, die sich nur mit den letzten vier Ziffern der Telefonnummer meldete. Dill hatte diese Gewohnheit schon immer sehr irritierend gefunden.
    »Mr. Spivey, bitte.«
    »Mr. Spivey ist im Augenblick nicht erreichbar. Doch wenn Sie bitte Ihren Namen und Ihre Telefonnummer hinterlassen wollen, wird er Sie gewiß zurückrufen.« Es war eine junge Stimme, dachte Dill, kühl und geschäftsmäßig, mit dem schwachen Anflug eines Oststaatenakzents, irgendwo aus der Gegend von Massachusetts.
    »Würden Sie mir bitte einen Gefallen tun«, sagte Dill.
    »Ich will’s versuchen.«
    »Würden Sie bitte Mr. Spivey ausrichten, daß Mr. Dill am Apparat ist und daß er, falls er nicht augenblicklich ans Telefon kommt, der jämmerlichste und unglücklichste Hundesohn sein wird, der je gelebt hat.«
    Die Frau erwiderte darauf nichts. Es klang in der Leitung so, als hätte sie den Durchstellknopf gedrückt. Und dann kam die runde, laute Stimme mit fröhlichem Gedröhn über das Telefon: »Tatsächlich du, Pickle, kein Scheiß?«
    »In der vierten Klasse hab ich dir den Arsch dafür versohlt, weil du mich so genannt hast, und ich vermute, daß ich dasselbe noch einmal tun könnte.«
    Dann ertönte das Lachen, ein wundervoll tönendes »Hurra!«, so ansteckend, daß Dill sofort dafür gestimmt hätte, es unter Quarantäne zu stellen. Es war das völlig ungehemmte Lachen eines Mannes, der das Leben für eine viel zu kurze, steile Piste hielt, überwölbt von ewig blauen Himmeln und Regenbogen, für ein rauschendes Gelage, bei dem es allerdings auch darauf ankam, in der Jagd nach Glück die Nase vorn zu behalten. Das schmetternde Hurra gehörte John Jakob Spivey. Ganz plötzlich brach sein Lachen ab. »Ich hab gestern keine Nachrichten gesehen, Pick. Wurde es gebracht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Dill.
    »Ich habe es erst vor fünf Minuten in der Tribune gelesen. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Bei Gott, ja, ich saß einfach da und las es noch mal, und dann dachte ich nein, die müssen von jemand anderem reden, aber doch nicht von Felicity! Dann las ich noch mal, langsam und gründlich, und dann mußte ich es ja wohl glauben.
    Ich war gerade dabei, dich in Washington anzurufen, als dein Anruf kam. Verdammt, tut mir das leid!«
    Dill sagte: »Danke.« Das war alles, was er darauf erwidern konnte. Offenbar erwartete nie jemand, daß er etwas anderes sagen würde.
    »Felicity«, sagte Spivey gedehnt und betonte sorgfältig und gefühlvoll jede einzelne Silbe. »Der kleine Querkopf.
    Sie war ein unabhängiger kleiner Racker, sogar damals schon, als sie noch wirklich klein war, unmittelbar nachdem eure Eltern gestorben waren. Sie war gerade mal zehn oder elf Jahre alt, und von heute auf morgen benahm sie sich plötzlich, als wäre sie achtzehn, na ja, oder jedenfalls sechzehn.« Spivey seufzte. »Wo bist du untergekommen, Junge?«
    »Im Hawkins.«
    »Aber nicht doch, Pick, da kann man doch nicht

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