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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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Dawson oder Jake Spivey, und gelangte dann zu dem Schluß, daß jeder der beiden dazu imstande gewesen wäre.
    Die Frau, die ihm die Tür öffnete, wäre Dill unerreichbar erschienen, hätte seine Exfrau nicht fast genauso ausgesehen wie sie. Seither hatte sich bei ihm die Meinung festgesetzt, daß alle derart unerreichbar scheinenden Frauen doch nicht ganz so schlank, nicht ganz so klassisch und nicht ganz so schön waren, wie sie auf den ersten Blick wirkten. Dagegen sehen sie durchaus klug und leicht gelangweilt aus, auch vermitteln sie den Eindruck von Reichtum. Und dann – er war beinahe fest davon überzeugt – strömten sie alle einen ganz bestimmten schwachen Duft aus, den er, wenn er ihn hätte auf Flaschen ziehen können, mit dem Etikett »Klassenschranken« versehen hätte.
    Diese Frau, die fast nur aus langen gebräunten Beinen und nackten braunen Armen zu bestehen schien, starrte Dill einige Sekunden an und sagte schließlich in einem kehligen Tonfall, der sich sowohl nach den Oststaaten als auch nach vornehmer Betuchtheit anhörte: »Sie sind Mr. … Dill, stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    »Sie waren furchtbar ruppig am Telefon.«
    Dill lächelte. »Ich hab nur versucht, Jakes Aufmerksamkeit zu wecken.«
    »Ja, schön, das haben Sie ja auch geschafft.« Sie öffnete die wuchtige Tür weit. »Sie kommen am besten herein.« Dill ging hinein.
    Sie trug kurze weiße Shorts, ein blau-weiß gestreiftes, ärmelloses Oberteil mit weit ausgeschnittenen Ärmellöchern und, soweit Dill erkennen konnte, sonst nichts, nicht einmal Schuhe. Ihre Fußnägel waren in einem matten Korallenrot lackiert, sie hatte von der Sonne gebleichtes, streifiges, honigfarbenes Haar, schmelzende braune Augen, einen leicht mokanten Mund und auf der Nase einen schwachen Sonnenbrand. Sie hatte kein Make-up aufgelegt. Dill vermutete, daß sie es nie tat, weil sie es nicht brauchte. Sie wandte sich um, um ihn noch einmal zu mustern, und er starrte zurück, wobei er endgültig zu dem Schluß kam, daß sie nach altem Reichtum aussah, der längst verbraucht war.
    »Sie starren mich an«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Erinnere ich Sie an jemanden?«
    »An meine Exfrau – ein klein wenig.«
    »War sie nett?«
    »Sie seufzte viel und streute Zucker auf ihre Tomatenscheiben.«
    »Ja, ich verstehe sehr gut, warum – ich meine, warum sie oft und viel geseufzt hat. Ich heiße Daffy.« Sie reichte ihm nicht die Hand.
    »Wie in ›Duck‹ oder in ›Daffodil‹?«
    »Wie Daphne. Daphne Owens.«
    »Natürlich, das hätte ich wissen müssen.«
    »Ich arbeite für Mr. Spivey.«
    »Ah ja.«
    »Ich bin seine persönliche Assistentin, falls Sie auf Titel gesteigerten Wert legen.«
    »Es muß hier sehr angenehm sein – die zwanglose Atmosphäre und all das.«
    »Ja, ist es auch. Natürlich wohne ich auch hier.«
    »Natürlich.«
    »Am besten machen wir uns jetzt auf die Suche nach Jake.« Sie wandte sich ab und ging durch die breite, getäfelte Vorhalle, an deren Seitenwänden schmale Tische standen, auf denen nichtbenutzte Kristallvasen abgestellt waren. Es war eine sehr lange Vorhalle, und falls man Ruhe und Erholung brauchte, gab es hier ein Dutzend hochlehniger Stühle in schwarzem Holz mit verblichenen Sitzpolstern aus rotem Plüsch. An beiden Wänden hingen hübsch ausgeführte Ölporträts bärtiger Männer in der Tracht des neunzehnten Jahrhunderts. Die Männer sahen durchweg äußerst gepflegt aus, und Dill war sich einigermaßen sicher, daß keiner von ihnen in irgendeiner verwandtschaftlichen Beziehung weder zu Ace Dawson noch zu Jake Spivey stand.
    »Kennen Sie das Haus?« fragte Miss Owens, über die Schulter zu ihm zurückblickend.
    »Vor langer, langer Zeit waren Jake und ich einmal hier.«
    »Tatsächlich? Wann?«
    »Immer zu Weihnachten, bis – warten Sie – 1959. Mrs. Dawson gab gewöhnlich für die hundert bedürftigsten Kinder der Stadt eine Party. Jake und ich mogelten uns auf die Einladungsliste.« Er machte eine Pause. »Das war Weihnachten 1956.«
    »Aber das waren Sie doch nicht wirklich, nicht wahr?«
    »Was?«
    »Zwei der einhundert Bedürftigsten.«
    »Wer kann das schon so genau sagen?«
    »Auf jeden Fall ist es eine ganz reizende Geschichte.«
    »Fragen Sie mal Jake danach«, sagte Dill.
    Sie blieb stehen und drehte sich um. Zu seiner Überraschung fand Dill, daß sie ohne das einfallende Sonnenlicht älter wirkte. Näher an dreißig als an fünfundzwanzig. »Ich möchte Ihnen noch eine andere Frage stellen«, sagte sie.
    »Nur

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