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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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er jemals gehört hatte, wie jemand sein Mitgefühl für den vom Schicksal geschlagenen Dr. Cherry ausgesprochen hätte. Ihm war so, als hätte sein Vater das einmal fast beiläufig getan, doch schließlich war Dills Vater auch eine sentimentale Seele gewesen, der seine Alltagsphilosophie trotz seiner außerordentlichen, im Ausland erworbenen Bildung zumeist aus den Schlagertexten der dreißiger und vierziger Jahre bezog. Dill senior war nicht davon abzubringen gewesen, daß die Zeilen vom September Song ausgesprochen tiefgründig und vielsagend wären. Der Sohn war jetzt froh darüber, daß sein Dad gestorben war, noch bevor der Rock seinen Siegeszug angetreten hatte.
    Als er auf die North Cleveland Avenue abbog, die sich auch in südlicher Richtung bis nach Packingtown erstreckte, stellte Dill fest, daß man schließlich auch die Torwache abgerissen hatte. Die Kontrollstation am Grant Boulevard, am Eingang nach Cherry Hills, war kurz nach der Entführung Ace Dawsons errichtet worden. Bis 1942 hatte ein uniformierter privater Wachdienst Stichprobenkontrollen bei allen Autos durchgeführt, die in den Vorort einfahren wollten. Doch dann kam der Krieg, alle Wachmänner kündigten und gingen entweder zur Armee oder zu Lockheed und Douglas in Kalifornien. Das alte Wachhaus, das so aussah, als wäre es von einem Schüler Walt Disneys entworfen worden, hatte danach leergestanden, doch jetzt war es verschwunden. Dill vermutete, daß es erst kürzlich abgebrochen worden sein mußte, weil der Boden noch immer aufgerissen und unordentlich aussah.
    Ihm fiel auf, daß die Bäume längs des Grant Boulevards kräftig weitergewachsen waren, sie waren jetzt höher, zehn Jahre höher. Die Pappeln waren am höchsten aufgeschossen, gefolgt von den nicht so schnellwüchsigen Ulmen, den Hickory-Bäumen, Persimonen und Sykomoren.
    Als er den Cherry Hill Brook überquerte, der einst Split Taile Creek geheißen hatte, sah er, daß auch die Baumwollpflanzen üppig ins Kraut geschossen waren, und das befriedigte ihn aus irgendeinem Grund am allermeisten.
    Dill bog vom Grant Boulevard östlich in die Beauchamp Lane ein. Hier wurden die Grundstücke größer, anfangs anderthalb, dann zweieinhalb, dreieinhalb und schließlich bis zu acht Hektar groß. Grundstücke wie das, auf dem das Herrenhaus des alten Dawson stand.
    Die Häuser entlang der Beauchamp Lane (die man so aussprechen muß, wie es dasteht: Beau wie in »bo« und champ wie »champion« ) waren ein auserlesenes Sammelsurium, angefangen mit dem gedrungenen Ranchstil bis hin zur Mittelmeervilla; die einzige Gemeinsamkeit bestand in ihrer Größe, die durchweg gewaltig war.
    Dill fuhr an der Umfassungsmauer des Dawsonbesitzes entlang, die oben mit Glasscherben gespickt war, bis er zu einem verschlossenen schmiedeeisernen Tor kam. Er drückte den Knopf seiner Rufanlage, und eine weibliche Stimme sagte: »Ja?« Dill nannte seinen Namen, das Tor schwang auf, Dill fuhr hindurch und folgte der geschwungenen, asphaltierten Auffahrt, vorbei an den Rasensprengern, die der kurzgemähten Rasenfläche auch noch in der Augusthitze ein saftiges Grün verliehen; die Temperatur hatte, so ein Radiosprecher, bereits 39 Grad erreicht, und für die Mittagszeit wurden 42 Grad erwartet. Es gab hinreichend hohe Bäume mit dichtem Laub, so daß der kitschig-bombastische alte Tudorkasten beinahe kühl wirkte. Kein einziges der mit Läden gesicherten Fenster war geöffnet, und Dill war sicher, daß Spivey die Klimaanlage voll aufgedreht hatte.
    Als er an der offenen Garage mit sechs Stellplätzen vorbeifuhr, zählte er einen Rolls, ein Mercedes 500 SEL Coupe, einen Chevrolet-Transporter mit hoher Radaufhängung, einen alten offenen Morgan, ein Mustang Cabrio und einen großen Country-Squire-Ford-Geländewagen. Keins der Autos, mit Ausnahme des Morgan, sah älter als sechs Monate aus.
    Dill brachte seinen eigenen Wagen vor einer breiten, geschnitzten Eingangstür aus solider Eiche mit gehämmerten, schwarzen Metallscharnieren zum Stehen. Er stieg aus der angenehmen Kühle von 20 Grad im Inneren seines Ford in die Sonnenglut von 39 Grad und legte sofort seine Seersucker-Jacke ab. Er drapierte sie über seinen linken Arm, mit dem er auch den Manilaumschlag an seine Seite drückte. Der Umschlag enthielt die Akte über Jake Spivey. Mit dem rechten Zeigefinger betätigte Dill die Türklingel. Irgendwo tief im Inneren spielte ein Glockenspiel »How dry I am«. Dill fragte sich, wer es wohl eingebaut haben mochte, Ace

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