Schutzwall
zu.«
»Haben Sie vor, ihm Schwierigkeiten zu machen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Dill, »es könnte sein.«
10
Am Ende der langen Vorhalle blieb Daphne vor zwei Meter zwanzig hohen Doppeltüren stehen und ließ sie in die Wand zurückgleiten. Dill folgte ihr in einen großzügig bemessenen Raum, der offenbar die Bibliothek des herrschaftlichen Hauses war und in dem Bücherregale drei Wände ausfüllten. Sechs hohe, bleigefaßte Fenster am anderen Ende des Raumes hatten runde, für Ventilatoren ausgesparte Öffnungen. Die Fenster gingen auf einen sorgfältig angelegten und gepflegten Garten hinaus, wo gerade drei Mexikaner etwas ausgruben. Als Dill ihnen zusah, hörten zwei von ihnen zu graben auf, wischten sich über die schweißnassen Gesichter und fingen an, dem dritten Mann Anweisungen zu geben. Hinter den Mexikanern und durch Rosenstöcke mit verwelkenden weißen Blüten hindurch war das Blau des Swimmingpools zu sehen.
John Jakob Spivey erhob sich hinter dem ausladenden schwarzen Schreibtisch aus Walnußholz, der vor den hohen Fenstern stand. Er lehnte sich vor, die Innenflächen der Hände breit auf den Tisch gestützt, den großen Kopf leicht nach links geneigt und die gerissenen Augen fest auf den sich nähernden Dill gerichtet. Er ist noch immer rund, stämmig und rosa, dachte Dill, und aus der Nähe betrachtet sieht er noch immer aus wie der gefürchtete Schläger aus der Nachbarschaft, der breiter, stärker und verschlagener als jeder andere ist. Dann lächelte Jake Spivey, lachte glucksend und verwandelte sich in den liebenswertesten Menschen der Welt.
In diesem Lächeln lag Wärme, im Ausdruck des Gesichts echtes Interesse und heitere Erwartung in den Augen, sobald das berechnende Starren sich verflüchtigte und sie zu zwinkern anfingen. Er ist sich seiner nicht im mindesten bewußt, dachte Dill, er hat zu sich selbst nicht mehr Distanz als zu seinem großen Zeh. Du bist es, für den er sich interessiert, Dill! Was möchtest du haben, wird er gleich wissen wollen, und wie du dich fühlst und was du gerade denkst und wo um alles in der Welt du die ganze Zeit gewesen bist.
Spivey nickte lächelnd, als Dill auf den Schreibtisch zuging. Es war ein Nicken zufriedener Genugtuung. »Weißt du, was wir gemacht haben, Pick?« fragte er. »Wir sind, jeder für sich, ein Stück älter geworden.«
»Das kommt vor«, sagte Dill und ergriff die Hand, die Spivey ihm über den Tisch hinweg entgegenstreckte.
»Du kennst Daffy?«
»Ich kenne Daffy, ja.«
»Sie kommt aus dem Osten«, sagte Spivey. »Massachusetts, ist da zur Schule gegangen.«
»Holyoake«, versuchte Dill zu raten und lächelte Daphne Owens an.
»Weit daneben«, sagte sie.
»Setz dich, Pick. Du bleibst doch zum Lunch, oder?«
»Abgemacht, danke.«
Nachdem er wieder in seinem alten hölzernen Drehstuhl Platz genommen hatte, blickte Spivey zu Miss Owens hoch. »Schätzchen, würdest du bitte Mabel Bescheid sagen, daß wir beim Lunch heute zu dritt sind?«
Er wandte sich an Dill. »Mabel ist die Köchin.«
»Gibt’s sonst noch was, bevor ich euch allein lasse?« fragte Daphne Owens.
Spivey schaute fragend zu Dill. »Willst du ’ne Coke?«
»Wie wär’s mit einem kühlen Bier?«
»Das haben wir gleich. Bier hab ich immer hier unten in diesem kleinen, eingebauten Eisfach«, sagte Spivey munter, langte nach unten, öffnete die Tür eines kleinen Eisschranks und holte zwei Dosen Millers heraus.
»Also keine Coke?« fragte Miss Owens.
»Ich denke nicht, Schätzchen«, sagte Spivey und riß die Dosen auf, »jedenfalls nicht jetzt.«
»Wir sehen uns dann zum Lunch, Mr. Dill.«
»Das hoffe ich«, sagte Dill.
Sie wandte sich ab und ging auf die Doppeltür zu. Spivey verfolgte anerkennend ihren geschmeidigen Gang, drehte sich zu Dill um und reichte ihm eine der Bierdosen. »Ich glaube, ich werd mich ins kalte Wasser stürzen und die da heiraten«, sagte er.
»Ihr beide habt viel gemeinsam, Jake: Herkunft, Geschmack, Bildung, Alter.«
»Vergiß das Geld nicht«, warf Spivey ein, »sie hat überhaupt keins, und ich hab einen ganzen Haufen.«
»Das gleicht die Sache doch perfekt aus.«
Spivey lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und musterte Dill eingehend. »Sag mal, diese ganze Trauerarbeit, hast du die schon hinter dir?«
»Nein, noch nicht.«
»Das braucht Zeit, Pick. Herrgott, man braucht Zeit!« Langsam schlürfte er sein Bier.
»Wie lange ist das jetzt schon her?«
»Sieben, vielleicht acht Jahre.«
»Das war in Genua,
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