Schutzwall
war. Damals waren er, Dill, die damalige Mrs. Dill, Jake Spivey und jener Mann beisammen gewesen, der jetzt hinter dem Tisch saß: Clyde Brattle.
Brattle lächelte. »Nun«, sagte er, »Ben.«
»Nun, Clyde«, sagte Dill und zeigte auf den schalenförmigen Drehstuhl, der mit sehr gutem Lederimitat bezogen war. »Mein Platz?«
»Ja, bitte.«
Dill setzte sich in den Stuhl und fand ihn recht bequem.
Auch die beiden Männer stiegen jetzt in den Transporter.
Der hagere setzte sich Dill gegenüber in ein Pendant seines eigenen Stuhls. Dill konnte nicht erkennen, wo der Gewichtheber sich hingesetzt hatte, vielleicht auf den Fußboden. Dill drehte sich nach ihm um. Der Gewichtheber saß auf einem im Boden verankerten Stuhl, der ebenfalls schwenkbar war und zur Kücheneinrichtung gehörte. Darauf sitzt man wahrscheinlich, während man Mohrrüben putzt, dachte Dill.
»Alles bemerkenswert solide, die Einbauten, wie?« sagte Brattle, nachdem sich ihm Dill wieder zugewandt hatte.
»Bemerkenswert.«
»Das ist Sid, der Ihnen gegenübersitzt, und das dahinten ist Harley.«
»Harley und Sid«, sagte Dill.
»Ist lange Zeit her, wie?« Brattle legte eine Pause ein.
»Sieben Jahre?«
»Eher acht. Genua, Hotel Plaza, Suite 523. Ihre Suite.«
Brattle lächelte anerkennend über Dills hervorragendes Gedächtnis. »Sie werden wohl recht haben. Und wie geht’s der charmanten Mrs. Dill?«
»Es geht ihr gut, und wir sind geschieden.«
»Tatsächlich, das wußte ich nicht, oder falls ich’s gewußt habe, muß ich es wohl vergessen haben.« Er runzelte die Stirn. Das verlieh ihm einen nachdenklichen, ernsten, beinahe feierlichen Ausdruck. »Ich hab da von Ihrer Schwester gelesen, Ben.« Die Pause war sehr wirkungsvoll und zeitlich exakt berechnet. »Es tut mir leid.«
Dill nickte.
»Die Beerdigung ist morgen, soweit ich weiß.«
»Ja.«
»Ich vermute, das ist der eigentliche Grund, weswegen Sie hier sind«, mit einem Zeigefinger tippte Brattle auf die Akte Jake Spivey, »und nicht wegen diesem Mist hier.« Er lächelte warm. »Wie geht’s übrigens Jake?«
»Jake geht’s gut.«
Brattle schüttelte nachsichtig den Kopf, noch immer in sich hineinlächelnd, offenbar vor lauter Wertschätzung all der vielen liebenswerten Eigenschaften dieses alten Halunken Jake Spivey. Der Kopf, den Brattle schüttelte, sah gut geschnitten und gefällig aus, etwa in der Art, wie die Büsten vor langer Zeit gestorbener römischer Staatsmänner oftmals gut geschnitten und gefällig wirkten – aber nicht allzu gefällig. Die Gesichtszüge waren nie völlig regelmäßig, der Ausdruck nie völlig entrückt, die leeren Augen ließen sich nichts vormachen. Dill hatte einst einen langen verregneten Nachmittag in einem Raum voller solcher Hermen in Merida in Spanien verbracht und sie eingehend studiert. Er hatte auf diesen seit unvordenklichen Zeiten toten Gesichtern das gesehen, was er jetzt im Gesicht von Clyde Brattle entdeckte: Weltgewandtheit, kühle Zurückhaltung und deutlichen Zynismus. Er konnte nachfühlen, daß dies zur Zeit des römischen Imperiums eine nützliche Geistesverfassung gewesen sein mußte, kurz bevor die Goten zu ihrem Zug von Osten und Norden aufbrachen.
Jetzt, im Alter von fünfundfünfzig Jahren, konnte Brattle durchaus als einer jener verbannten römischen Konsuln durchgehen, die zu lange in irgendeiner öden, abgelegenen Provinz Dienst getan hatten. Das waren dieselbe leicht geschürzte Lippe, dieselbe dünne, geschwungene Nase und dieselben illusionslosen Augen, die keine bestimmte Farbe hatten, es sei denn, Winterregen hat eine Farbe. Das kurze Haar war schließlich grau geworden – grau wie ein verhangener Himmel –, doch es war noch immer dicht, ungescheitelt und wurde, wenn überhaupt, nur mit den Fingern gekämmt. Die Stimme war noch immer jenes kratzige, schleppende Sprechen der Hochgebildeten, aus dem schon seit langer Zeit jede Spur eines Akzents verschwunden war, die seine Herkunft verraten hätte.
»Wie wär’s mit einem Drink?« fragte Brattle.
»Wäre mir recht.«
»Schön.«
Sid, der Hagere, stand auf und mischte fast geräuschlos zwei Wodka Tonics. Den einen stellte er vor Brattle hin, den anderen reichte er Dill. Brattle nahm einen Schluck, seufzte und lächelte. »Ich vermute, man hat Ihnen gesagt, daß ich zurückgekommen bin«, sagte er.
Dill nickte. »Man sagt, Sie seien über Detroit gekommen.«
»Es ist ziemlich eklig, Ben, wie Sie vielleicht selbst wissen, so auf dem Sprung zu sein wie
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