Schutzwall
konnte Harry den Kellner nur ungläubig anstarren.
Das breite Grinsen blieb auf Harrys Gesicht. »So ist es. Mir. Ist das nicht ein tolles Ding?« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zog ein Gesicht. »Mein Gott, schmeckt der alte Mann schlecht.«
26
Dill fand Anna Maude Singe am schmalen Ende der L-förmigen Bar über ein Glas gebeugt, dessen Inhalt wie Wodka on the Rocks aussah. Zum Griechen gewandt, sagte er, daß er dasselbe wollte, ganz gleich, was es wäre.
Levides schenkte ein und zeigte auf die vor sich hin brütende Frau. »Ich hab ihr gesagt, daß es wirklich nichts mit dem zu tun hat, was Sie beide ihm gesagt oder getan haben, aber sie will’s mir nicht abkaufen.«
Dill nickte und trank. Es war tatsächlich Wodka. Er sah zu Anna Maude hin. Sie starrte weiter in ihr Glas.
»Ich hab ihr erzählt, daß der alte Knabe dreiundsiebzig ist«, fuhr Levides fort, »und daß er täglich mindestens einen halben Liter Schnaps wegsäuft, drei Päckchen Pall Mall raucht, fettiges Zeug und Fast food in sich reinschlingt und pro Woche höchstens fünfzig bis sechzig Schritte läuft, wenn überhaupt, und daß es mit Sicherheit das ist, was ihn heute abend von den Füßen geholt hat.
Bestimmt nicht das, was jemand zu ihm gesagt hat.« Er machte eine Pause. »Mein Gott, Sie und Harry der Kellner haben ihm das Leben gerettet.«
»Falls er am Leben bleibt«, sagte Dill.
»Na und? Er ist dreiundsiebzig.« Levides schwieg.
Dann meinte er: »Verdammter alter Narr.«
»Ich möchte hier raus«, sagte Anna Maude Singe, die noch immer in ihren Drink starrte.
Dill legte einen Zehndollarschein auf die Bar, hob sein Glas und trank es in drei Schlucken leer, schüttelte sich und sagte: »Dann laß uns gehen.«
Ganz still und klein ließ sie sich von ihrem Barhocker gleiten und ging auf die Tür zu. Dill sammelte sein Wechselgeld ein, als Levides, der wieder ganz woanders hinsah, in seinem viel zu beiläufigen Tonfall fragte: »Was haben Sie eigentlich zu dem alten Chuckles gesagt?«
»Ich sagte, daß ich ihn wegen Verleumdung verklagen werde.«
»Nicht schlecht«, sagte Levides, als Dill sich abwandte und hinter Anna Maude Singe herlief.
Dill fuhr südlich über den TR Boulevard in Richtung Innenstadt. Anna Maude Singe saß zusammengekauert gegen die rechte Wagentür gelehnt. Dill sah zu ihr hin und sagte: »Vermutlich hast du jetzt keinen Hunger.«
»Nein.«
»Ich ebensowenig.«
»Ich möchte nach Hause.«
»In Ordnung«, sagte er. »Du hast nichts dagegen, wenn ich kurz vor einem Drugstore anhalte?«
»Weswegen?«
»Mundspülung. Ich kann ihn noch immer schmecken.«
Dill hielt vor einem Drugstore, dessen Digitaluhr 21.39 Uhr und dessen Thermometer 31 Grad Celsius anzeigte.
Er kaufte eine kleine Flasche Scope, kam wieder heraus, schraubte die Flasche noch am Rinnstein auf, spülte sich den Mund aus und spuckte in die Gosse, wobei er sich nicht erinnern konnte, daß er etwas Ähnliches je schon einmal gemacht hätte.
Er stieg wieder ins Auto, ließ den Motor an und zog hinüber auf die Fahrspur. Anna Maude sagte: »Du konntest wohl nicht damit warten, bis du wieder zu Hause bist?«
»Nein«, sagte er, »ich konnte nicht. Ich konnte ihn noch immer schmecken.«
»Wonach schmeckte er denn?«
»Wie Freund Hein persönlich.«
»Ja«, sagte sie, »so hab ich mir auch vorgestellt, daß er schmecken würde.«
Als sie sich den Van Buren Towers näherten, hielt Dill nach einem Parkplatz Ausschau. »Die Mühe kannst du dir sparen«, meinte sie. »Laß mich einfach hier raus.«
»Okay.«
Er fuhr vor ihrem Haus vor und hielt an. Anna Maude Singe machte keine Anstalten auszusteigen. Statt dessen sagte sie, vor sich hin ins Leere blickend: »Ich glaube nicht, daß ich noch länger deine Freundin sein möchte. Ich bin deine Anwältin, falls du das willst, aber ich möchte nicht deine Freundin sein.«
»Das tut mir leid«, sagte er. »Weißt du, so viele Freunde habe ich nicht.«
»Die hat keiner.«
»Liegt es daran, daß der alte Mann fast gestorben ist?«
Sie sah ihn an und schüttelte langsam den Kopf. »Du hast ja schließlich nicht versucht, ihn umzubringen.«
»Du hast recht, das habe ich nicht.«
»Wenn ich deine Freundin bleiben wollte und nicht nur deine Anwältin, dann, fürchte ich, könnten zwei Dinge passieren.«
»Was?«
»Ich könnte mich in dich verlieben – und wahrscheinlich würde ich in irgendwelche Schwierigkeiten geraten, in die ich nicht hineingezogen werden will. Dich zu lieben
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