Schutzwall
– nun, damit würde ich wohl fertig werden, jedenfalls glaube ich das, aber das andere – nein, ich weiß wirklich nicht.«
»Welches andere denn?«
»Die Schwierigkeiten.«
»Du meinst, solche wie heute nachmittag mit Harold Snow?«
Sie nickte.
»Dir hat’s Spaß gemacht«, sagte Dill, »ich konnte es dir ansehen.«
»Du hast recht«, sagte sie, »das hat es auch. Ich hätte früher nie geglaubt, daß ich daran Gefallen finden könnte. Ich dachte immer, daß mir mehr die sicheren, freundlichen, netten Sachen liegen.« Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie über sich selbst verwundert. »Sogar heute abend hat es mir gefallen, als wir nur mit diesem alten Mann geredet haben, diesem Laffter. Und der hat ja bestimmt nicht nur Männchen gemacht und alles geschluckt. Der hat herzhaft zurückgeschlagen. Eigentlich war er sogar besser als du – als wir beide –, jedenfalls die überwiegende Zeit, und, na ja, auch das hat mir gefallen.
Jedenfalls so lange, bis er dann abgekippt ist. Das hat mir dann schon einen mächtigen Schlag versetzt. Nicht einmal, daß Clay erschossen wurde, ist mir so an die Nieren gegangen. Und der arme bekloppte Harold Snow, na ja, das war einfach ein Heidenspaß. Aber bei der Sache mit dem alten Mann war ich aktiv beteiligt. Ich hab dazu beigetragen, daß es dann so gekommen ist. Und das traf mich dann schon sehr hart, weil ich schließlich einsehen mußte, daß es eben nicht nur ein So-tun-als-Ob ist, oder?«
»Nein«, sagte Dill.
»Du erinnerst dich, daß ich dich gefragt habe, ob du das alles nicht nur spielst.«
»Ja.«
»Du hast nicht gespielt.«
»Vermutlich nicht.«
»Es macht mir angst, und ich möchte keine Angst haben müssen. Und ich will auch nicht in dich verliebt sein. Und ich will nicht deine Freundin sein.«
»Nur meine Anwältin?«
»Falls überhaupt.«
Dill war sich ganz und gar nicht sicher, was er dazu sagen sollte. Also schwieg er. Statt dessen streckte er den Arm aus und zog sie an sich. Zuerst sträubte sie sich ein wenig, doch dann war aller Widerstand dahin, und ihre Münder preßten sich zu einem jener langen, wilden, beinahe wütenden Küsse aufeinander.
Als er vorüber war, lag sie halb im Autositz und hatte den Kopf an seiner Schulter. »Das war’s, was ich wollte«, sagte sie. »Ich wollte wissen, ob ich Freund Hein persönlich schmecken kann.«
»Und hast du?«
»Falls er nach Scope schmeckt, dann hat er mich gestreift.«
Er küßte sie noch einmal, diesmal ganz sacht, fast liebevoll, und sagte: »Du willst doch nicht wirklich nur meine Anwältin sein, nicht wahr?«
Sie seufzte schwer. »Ich schätze nein, nicht eigentlich.«
»Du kannst doch beides sein, meine Anwältin und meine Süße.«
»Deine Süße?! Großer Gott!«
»Was ist denn so Schlimmes dabei?«
Sie setzte sich auf und schaute ihn an. »Ich will keine weiteren Schwierigkeiten.«
Dill grinste. »Du magst sie aber, Schwierigkeiten. Du hast es doch selbst gesagt.«
Sie legte ihren Kopf zurück an seine Schulter. »Süße«, murmelte sie ungläubig, »mein Gott, Süße!«
Als er über die Our Jack Street ins Hawkins Hotel zurückfuhr, bemerkte Dill im Vorüberfahren, daß die First National Bank um 22.31 Uhr eine Temperatur von dreißig Grad verkündete. Als er in die Tiefgarage einfuhr, hielt er automatisch nach Clyde Brattles blauem Dodge-Lieferwagen Ausschau, doch konnte er ihn nirgendwo entdecken. Dill stieg aus dem Ford und eilte zum Fahrstuhl hinüber, wobei er vorsichtig einen weiten Bogen um die großen quadratischen Betonpfeiler machte. Er fuhr mit dem Fahrstuhl direkt zum neunten Stockwerk hinauf, ohne noch mal bei der Rezeption vorbeizuschauen und nachzusehen, ob eine Nachricht für ihn hinterlassen worden war.
Dill schloß die Tür zu Zimmer 981 auf und stieß sie weit zurück, ohne jedoch hineinzugehen. Das einzige Geräusch, das er hörte, kam von der Klimaanlage. Er ging schnell hinein, schloß die Tür hinter sich und sah im Badezimmer nach, wo jedoch nur der Wasserhahn am Waschbecken tropfte. Er drehte ihn fest zu.
Wieder zurück im Zimmer, ging Dill hinüber zum Telefon und rief die Auskunft an. Er fragte nach der Nummer des St. Anthony Hospitals, die man ihm auch bereitwillig gab. Er rief das Krankenhaus an, und nachdem er viermal zu verschiedenen Abteilungen weitergereicht worden war, verband man ihn schließlich mit einem Mr. Wade, der sich sehr jung und unbekümmert anhörte.
»Ich wüßte gern, wie es einem Ihrer Patienten auf der Intensivstation
Weitere Kostenlose Bücher