Schwaben-Angst
erwartete?
Seufzend ging er ins Bad, versuchte unter der Dusche die Müdigkeit vollends abzuschütteln. Welcher Mensch war fähig, anderen so übel mitzuspielen? Was war geschehen, was hatte einen Mann oder eine Frau so verrohen lassen, dass sie zu einem solch verbrecherischen Wesen mutierte?
Braig wusste es nicht, hatte keinen Anhaltspunkt. Sie waren zwar der Spur des in der Kirche aufgefundenen Kulis gefolgt, hatten darüber hinaus aber noch keine weiteren Erkenntnisse gewonnen. Wo der angebliche Herbert Bauer zu finden, ob er der Mörder oder zumindest eine Person im Umfeld des eigentlichen Täters war, was die Liste mit den acht Männern bedeutete, noch hatten sich diese Fragen nicht einmal in Ansätzen klären lassen.
Braig und Neundorf waren am Vorabend nach dem Verlassen der Wohnung Beate Bergs zu erschöpft gewesen, weitere Ermittlungen anzustellen. Sie hatten sich im Ludwigsburger Klinikum nach dem Gesundheitszustand Bernhard Söhnles erkundigt, aber nur erfahren, dass dieser noch immer im Koma liege. Anschließend war Braig dann noch bei Jürgen Hofmann vorstellig geworden, um ihm die neuesten Erkenntnisse und Pläne für ihr weiteres Vorgehen mitzuteilen. Der Oberstaatsanwalt hatte ihre Fortschritte erfreut zur Kenntnis genommen und versprochen, im Nachhinein die richterliche Erlaubnis zur Durchsuchung der Wohnung von Frau Berg und der Überwachung Günter Becksteins zu besorgen.
Wenige Minuten später, Steffen Braig wollte gerade sein Büro verlassen, traf das Fax ein, in dem Helmut Rössle, der Techniker, aufgrund der Untersuchung der Schuhabdruckprofile der beiden ins Amt bestellten Frauen Regine Hemmer definitiv von einer Täterschaft ausschloss. Diese Entlastung wollte er im Falle Marion Böhlers jedoch nicht ausstellen. Ihre Fußabdrücke, so die Ausführungen Rössles, zeigten zumindest Ähnlichkeit mit den an den beiden Tatorten vorgefundenen. Braigs Versuche, den Kollegen telefonisch zu erreichen, um sich die Untersuchungsergebnisse genauer erklären zu lassen, waren erfolglos geblieben, weshalb er das Gespräch auf den nächsten Tag verschoben hatte. Abgekämpft und müde war er nach Hause gefahren.
Marion Böhler also doch im engsten Kreis der Verdächtigen. Gab es Verbindungen zwischen ihr und der Wohnung in Ludwigsburg? Die Sache blieb verworren, ihre Arbeit hatte nur scheinbar entscheidende Fortschritte gebracht. Und jetzt die erneute Hiobsbotschaft!
Zehn Minuten nach acht hatte Braig den Tatort erreicht. Die Neckarinsel mit ihrer Platanenallee lag unweit vom Zentrum der alten Universitätsstadt, nur durch den schmalen Lauf des Flusses von den Gebäuden der Altstadt getrennt. Der Zugang zu dem Areal wurde von einem grimmig blickenden, uniformierten Beamten bewacht. Eine Menschentraube umringte ihn, bestürmte den Polizisten mit unzähligen Fragen. Braig hörte das Stimmengewirr, drängte sich zu der Absperrung durch.
»A Leich hent se gfunde, wirklich?«
»Noi, des send zwoi. A Pärle, han i ghört.«
Der uniformierte Beamte hatte seinen Blick entnervt abgewandt, nahm Braigs Ausweis erst in dem Moment wahr, als der Kommissar unmittelbar vor ihm stand.
»Braig vom LKA«, stellte der sich kurz vor, wies mit einer Kopfbewegung zur Insel, »dort drüben, ja?«
Der Kollege nickte. »Fünfzig Meter nach links. In der Nähe vom Silcherdenkmal.« Er berührte Braig an der Schulter, verdrehte die Augen. »Die Leiche sieht grauenvoll aus! Das Gesicht!«
Er hatte so leise gesprochen, dass Braig ihn nur mit Mühe verstand. Sein Gesichtsausdruck sagte alles.
»Grauevoll! Hent ihr des ghört?«, kreischte ein älterer Mann, der sich zu den Beamten vorgedrängt hatte.
Der Kommissar beeilte sich, die Menschenansammlung zu verlassen, lief über die schmale Brücke, die nur Fußgängern vorbehalten war. Er folgte dem Weg nach links, sah schon von weitem die kleine Gruppe den Tatort untersuchender Kollegen.
Rössle und Rauleder knieten mitten im feuchten Gras im Umfeld einer hohen Platane, als Braig bei ihnen eintraf.
»Des war a kurze Nacht«, schimpfte der Techniker, »hört denn der Deifel überhaupt net auf?«
Der Kommissar begrüßte sie, sah, dass Rössle einen Fußabdruck modelliert hatte. »Welche Größe?«, fragte er. »Du bist schon soweit?«
»Welche wohl? Den Abdruck kenn i inzwische auswendig. Zum Glück hat’s gestern geregnet. So isch jetzt alles deutlich zu erkenne.«
»Siebenunddreißig, ja?«
»Gib mir noch fünf Minute, dann han i’s schwarz auf weiß.« Er drehte den
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