Schwaben-Angst
da sprechen. Verfügt Ihre Apothekerin nicht auch noch über magische Kräfte, das Material einfach wegzuzaubern?«
»Ich weiß es nicht. Aber vielleicht könnten Sie mir mit einer dritten Hypothese weiterhelfen. Falls ich bisher daneben liege.«
»Ich? Wieso?«
»Einfach so. Ich bin nun mal neugierig.«
Marion Böhler betrachtete ihren Gast, lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Vielleicht sollten Sie sich um eine weitere Hypothese bemühen«, sagte sie dann, »wenn Ihnen so viel daran gelegen ist, längst vergessene Ereignisse wieder aus der Versenkung zu holen.«
41. Kapitel
Bernhard Söhnle wurde auf dem Tübinger Bergfriedhof zu Grabe getragen.
»In Tübingen?«, hatte Braig überrascht gefragt, als Erwin Beck mit dieser Mitteilung in sein Zimmer getreten war.
»Ich wundere mich auch. Ich wusste nicht, dass Bernhard Verbindungen nach Tübingen hatte.«
»Die Schweschter seiner Mutter.« Helmut Rössle war wieder einmal am besten informiert. »Die will ihn im Familiengrab han. Außerdem isch die die Einzige, mit der Bernhard noch Verbindung ghabt hat. Was solls! Wo du begrabe liegsch, kann dir egal sei. Hauptsach, es isch net in Sindelfinge!«
Die Zahl der Trauergäste war nicht groß, den Hauptanteil bildeten die Kollegen. Neundorf hatte die Kapelle erst wenige Minuten vor Beginn des Gottesdienstes erreicht.
Es war tatsächlich eine dritte Hypothese notwendig gewesen, den Verbleib der Giftstoffe aufzuklären.
Polizeizentrale Metz, 11. April 1999
Die kurze Mitteilung hatte das Amt am frühen Morgen in einem an Neundorf adressierten Kuvert erreicht. Das Datum war ihr bekannt vorgekommen; sie hatte ihre Vermutung sofort überprüft und festgestellt, dass der Einbruch in die Bad Cannstatter Apotheke in der Nacht vom 10. auf den 11. April 1999 verübt worden war.
Zehn Minuten später hatten ihr die französischen Kollegen in Metz den bisher ungeklärten Fund eines Kartons mit hoch-toxischen Stoffen direkt vor dem Eingang der Polizeizentrale in Metz am 11. April 1999 bestätigt. Das Fax mit der Auflistung des genauen Inhalts bestätigte Neundorfs Vermutung: Er war identisch mit den in der Bad Cannstatter Apotheke verschwundenen tödlichen Materialien. Mit der Zusammenarbeit im halbwegs vereinten Europa stand es offensichtlich noch nicht zum Besten.
Noch am Morgen hatte sie die Staatsanwaltschaft über ihre Entdeckung informiert, nicht ohne den deutlichen Vermerk zu vergessen:
Täter unbekannt. Es fehlt weiterhin jede Spur
.
Die Pfarrerin in Tübingen sprach von der Unergründlichkeit des Daseins, streifte die ungeklärte Todesursache des Verstorbenen, versuchte, tröstende Worte zu finden.
»Was bleibt?«, fragte Ann-Katrin Räuber später, als sie mit Braig und ihrer Schwester am Rand des Friedhofs auf einer Bank saß und über die geradlinig angelegten Gräberreihen hinweg auf die roten Ziegeldächer der Südstadt blickte.
»Versuche, ihn in deiner Erinnerung zu behalten«, antwortete Theresa Räuber, »alles Übrige müssen wir anderen Mächten überlassen.«
»Du glaubst, sie existieren?«, zweifelte Braig.
Ann-Katrin und er hatten sich entschlossen, einige Tage gemeinsam in Theresas neuer Wohnung zu verbringen, endlich ihrer Beziehung Vorrang vor allem anderen zu geben.
»Lebst du lieber in dem Bewusstsein, allein und verlassen in einem kalten, unbeseelten Universum zu existieren?«
Er kannte Theresas Vorliebe, einsame Stunden auf Friedhöfen zu verbringen, die Ruhe und den Frieden der Umgebung zu genießen, über Gott und die Welt nachzudenken, sich dem Sinn des eigenen Daseins anzunähern.
»Warum lassen diese Mächte dann zu, dass Menschen auf Irrwege geraten und andere vergiften?« Er fragte nicht, um sie zu provozieren, war in Gedanken noch zu sehr mit den zurückliegenden Ermittlungen beschäftigt.
»Ich weiß es nicht«, bekannte Theresa Räuber, »und ich kann nicht einmal sagen, ob ich auf diese Frage jemals eine Antwort finde.«
Katja Dorn hatte gemordet! Hatte Männer, die in ihren Augen dazu beitrugen, den Jugendwahn dieser Gesellschaft zu fördern, mit Gift ins Jenseits befördert. Sie hatte ihre Drohbriefe verschickt, sich ihren Opfern dann später, weil die nicht darauf reagierten, in einem günstigen Augenblick scheinbar freundlich genähert, Höflichkeiten ausgetauscht und mit ihnen geplaudert. Im Fall eines persönlichen Interesses an ihrer Person, wie dies von Bernhard Hemmer in der Kirche in Großaspach wohl gezeigt wurde, hatte sie Maja als ihren angeblichen
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