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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Kopf zur Seite, zeigte auf die Böschung unmittelbar am Hauptlauf des Neckar. »Erspar dir lieber den Anblick. Alle Idiote von Sindelfinge, sowas isch mir scho lang nemme unterkomme.«
    Braig ließ ihn weiter arbeiten, lief die paar Meter zur Böschung. Eine mit einem roten Anorak bekleidete Frau kniete unmittelbar hinter dem breiten Stamm einer Platane, die Augen auf den Boden gerichtet. Sie hielt ein schmales Messer in ihrer Hand, stippte mit der spitzen Klinge vorsichtig auf eine vor ihr liegende längliche Masse ein.
    Braig wich einer hoch aus der Erde ragenden Wurzel aus, machte einen großen Schritt geradewegs auf die Uferböschung zu. Er hatte die Frau erreicht, blickte nach unten. Es war das Schlimmste, was er je gesehen hatte. Wenn es die Hölle wirklich gab, dann musste es dort so aussehen. Ein einziges Grauen!
    Er trat unwillkürlich zurück, drehte den Kopf zur Seite. Es konnte nicht wahr sein, er musste geträumt haben. Ein schrecklicher, unbegreifbarer Albtraum.
    Das Rumoren in seinem Magen begann im selben Moment, als er über die hoch aufragende Wurzel stolperte. Er strauchelte, rutschte zur Seite, flog auf den Boden. Sein Kopf prallte auf den harten Stamm der Platane. Für Sekunden war er benommen, sein Schädel schmerzte, die Welt um ihn herum drehte sich. Er schloss die Augen, blieb einen Moment ruhig liegen, spürte eine Hand auf seiner Schulter. Als er langsam wieder zu sich fand, stand die Frau im roten Anorak vor ihm.
    »Das geht über unsere Kraft«, sagte sie.
    Braig nickte, richtete sich mühsam wieder auf. Sein Kopf schmerzte, Schwindel trübte sein Bewusstsein. Er schluckte die in seinem Inneren hoch gequollenen Essensreste, versuchte zu klarem Verstand zu gelangen.
    »Meike Schlögel«, sagte die Frau, streckte ihm die Hand entgegen, »ich bin die Ärztin.« Sie hatte eine sanfte, beruhigend wirkende Stimme.
    Braig erwiderte ihren Händedruck, nannte seinen Namen. Als die Schwindel endlich nachließen, sah er, wie jung die Frau war. Garantiert keine dreißig.
    »Mir ging es nicht besser«, fuhr sie fort. »Ich konnte es zuerst nicht aushalten.« Sie war bildhübsch, trotz der bleichen Farbe ihrer Haut.
    Braig wischte sich den Schmutz von der Jacke, wandte sich wieder der Uferböschung zu. Das Wasser des Neckar trug bräunlichen Schlamm, offenbar hatte es in der Nacht kräftig geregnet. Dort, wo sich die Insel sanft ansteigend aus dem Fluss erhob, lag der Tote. Auch jetzt, beim zweiten Versuch, traf der Anblick der entstellten Gestalt Braig wie ein Schlag.
    Er nahm alle Kraft zusammen, zwang sich, dem Bild nicht auszuweichen. Der gesamte Körper der männlichen Leiche war völlig verkrampft, die Beine, der Leib, die Arme, das Gesicht. Die Hände schienen noch im Tod gierig nach einem unbekannten Gegenstand zu greifen, die Wangen und die Partien um den Mund waren aufgequollen, von einem künstlichen Hellrot überzogen, wie Braig es noch nie gesehen hatte.
    Das Schlimmste waren die Augen. Sie lagen fast völlig frei, starrten hoch, in die Ferne, ihn scheinbar verfolgend, wohin immer er sich bewegte. Nach wenigen Sekunden wandte er den Blick zur Seite. Er zitterte am ganzen Körper.
    »Kaliumcyanid«, sagte die Ärztin, »alle Symptome sprechen dafür.«
    Braig nickte, gab keine Antwort.
    »Das dritte Opfer, wie ich höre.« Sie zeigte auf Rössle, der immer noch im feuchten Gras arbeitete.
    »Lange darf das nicht mehr weitergehen«, murmelte Braig.
    »Nein, das darf es nicht. Sie müssen ihn finden.«
    Er spürte die Nässe durch seine Hose dringen, sah, dass sie von dem Sturz an mehreren Stellen braun verfärbt war. »Was wissen Sie über den Zeitpunkt?«
    Ihre Antwort kam ohne Überlegen. »Sieben, acht Stunden. Vielleicht etwas weniger, vielleicht etwas mehr.«
    »Um Mitternacht.«
    »Etwa so, ja.«
    Braig sah die Schleifspur neben dem Kopf des Toten, folgte ihr mit seinem Blick. »Aber nicht hier direkt.« Er musste sich nicht genauer ausdrücken, sie verstand sofort, was er meinte.
    »Oben auf dem Weg«, erklärte Meike Schlögel, »Ihr Kollege hat die Stelle bereits markiert.«
    »An diesen Platz kam er erst nach seinem Tod.«
    »Erst danach, ja. Er brach oben zusammen, wurde hierher geschleift. Das schafft nicht jeder. Der Täter muss äußerst abgebrüht sein. Er wartete den Todeskampf seines Opfers ab, schaffte ihn dann weg. Wir beide wären nicht dazu im Stande.«
    Für einen Augenblick schoss Braig der Gedanke durch den Kopf, welch erbärmlichen Anblick er der Ärztin bei seinem

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