Schwaben-Angst
Hilfe der Kollegin, wählte Neundorfs Nummer. Sie war sofort in der Leitung.
»Bei dem Toten hier handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Dieter Fehr, den Geschäftsführer des Kurierdienstes Larch.« Er betonte den Namen, dann die Firma.
Am anderen Ende blieb es ruhig.
»Du bist noch da?«
Nun brauchte Neundorf mehrere Sekunden, ehe sie reagierte. Er hörte, wie sie schwer atmete. »Habe ich das richtig verstanden, Dieter Fehr?«
»Ich kann es ebenfalls kaum glauben.«
»Dann wissen wir ja, was das bedeutet?«
»Ich fürchte, ja.«
»Oh, mein Gott. Gibt’s so was auch hier bei uns?«
War es möglich, hier bei uns? Nicht in den USA, in Russland oder irgendwo im Süden Italiens, sondern im Schwäbischen, dem angeblichen Kernland von Ordnung, Anstand, biederer Moral?
»Wenn sich das wirklich bewahrheitet«, meldete sich Neundorf wieder zu Wort, »wenn es tatsächlich stimmt …« Sie machte eine kurze Pause, fand nur mühsam zu einem neuen Ansatz. »Eine Liste mit Menschen, die beseitigt werden sollen, ja? Ermordet, einer nach dem anderen? Glaubst du das?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Braig, »ich weiß beim besten Willen nicht, was ich glauben soll.« Er spürte das nasse Holz in seinem Rücken, starrte hinunter zur Böschung, wo die Ärztin noch immer mit der Leiche beschäftigt war. Mein Gott, darf man der Frau das noch zumuten, holt sie denn niemand von dort weg? »Er muss einen schrecklichen Tod gehabt haben«, fügte er laut hinzu, »er sieht grauenvoll aus.«
Neundorf schwieg mehrere Sekunden, sie hatte offensichtlich genauso wie er damit zu kämpfen, die neusten Erkenntnisse zu verarbeiten. Als sie jedoch neu ansetzte, klang ihre Stimme weitaus ruhiger und zurückhaltender als zuvor. »Mir fällt es immer noch schwer, zu akzeptieren, dass es das bei uns gibt: Eine Liste von Leuten, die ermordet werden sollen.« Sie zögerte. »Aber ich fürchte, wir können es uns nicht leisten, das Undenkbare einfach beiseite zu schieben. Hättest du vor einem halben Jahr gedacht, dass ein Schüler seine Lehrer ermordet? Nicht einen, sondern gleich einen Teil des Kollegiums? Bei uns in Deutschland? Seit Erfurt wissen wir das besser. So unglaublich uns diese Liste auch scheint, wir müssen sie ernst nehmen. Jetzt, nach diesem Fund bei dir, erst recht. Jetzt darf es nur noch eines geben: Wir müssen die Männer auf der Liste identifizieren, so schnell wie möglich, und nachprüfen, ob sie in irgendeiner Verbindung zu Böhler, Hemmer und diesem Fehr stehen. Den Ersten habe ich bereits ermittelt.«
»Wen?«
»Stefan Zierz. Er lebt in Esslingen, besitzt eine große Textilhandelskette. ›Mode for young people‹, du kennst sie vielleicht.«
»Du hast schon Verbindung zu ihm aufgenommen?«
»Mit seiner Sekretärin. Um zehn heute Morgen kann ich ihn sprechen. Hoffentlich hat es einen Sinn. Wir müssen endlich vorwärtskommen.« Sie machte eine kurze Pause, weil Braig heftig hustete, sprach dann weiter. »Weshalb wurde dieser Fehr getötet? Wer hatte einen Grund dazu? Hat es mit Frau Berg zu tun?«
»Die Firma«, antwortete Braig, »Beate Berg arbeitete bei Larch. Er war der Geschäftsführer.«
»Wir müssen nachprüfen, was es damit auf sich hat. Frau Berg ist seit vierzehn Tagen tot. Sie kann es nicht gewesen sein.«
»Die Wohnung«, sagte er, »irgendwie hängt die Wohnung mit in der Sache.«
»Wir brauchen die Adresse dieser Katja. Sie hat die Schlüssel. Wir müssen sie fragen, wer seit dem Tod Beate Bergs dort aus- und einging. Dieser Herbert Bauer. Wir brauchen den Mann. Du bist in Tübingen. Kümmerst du dich um Frau Berg?«
Braig sagte es ihr zu, versprach, sich zu melden, wenn er Neuigkeiten habe. »Du arbeitest an der Liste weiter?«
»Sobald ich über Frau Böhlers Alibi Bescheid weiß. Ich werde Beck und Felsentretter einspannen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
Braig steckte sein Handy weg, sah die Ärztin müde den sanften Hang hoch kommen. Ihr roter Anorak trug an der Seite einen großen, grünen Fleck.
»Meine Arbeit ist getan, die Pathologie habe ich informiert. Reicht es, wenn ich Ihnen meinen Bericht heute Mittag maile?«
Braig nickte, fuhr sich über die Stirn. »Blausäure«, sagte er, »um Mitternacht herum.«
»Hier oben auf dem Weg. Anschließend nach unten geschleift.«
Er reichte ihr die Hand, bedankte sich für ihre Arbeit. »Haben Sie eine Möglichkeit, sich abzulenken?«
»Ein paar entstellte Verkehrsopfer«, antwortete sie, »so wie jeden Tag.« Sie
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