Schwaben-Filz
tun hätten, als tapferen, fürs Vaterland kämpfenden Helden in der Heimat in den Rücken zu fallen?
Söderhofer jedenfalls hatte die Untersuchung an sich gerissen und das LKA darauf angesetzt, die Hintermänner des feigen Anschlags aufzufinden. Zwei Tage lang war Braig damit beschäftigt gewesen, die Kollegen des Verfassungsschutzes auf ihre Informanten und sonstigen Quellen zu befragen, vergeblich. Alle derzeit bekannten Kriegsgegner und Bundeswehrkritiker im Ländle wurden minutiös überwacht und kamen für den Überfall auf Holger Deimel nicht infrage. Die einzige Konsequenz, die sich nach Ansicht des Staatsanwalts aus diesem Sachverhalt ergab, war die Erkenntnis, dass es neuen, bisher unbekannten Terroristen gelungen war, sich in den Kampf gegen die Grundfesten dieses Staates einzumischen. Diese Verbrecher schnellstmöglich dingfest zu machen, so Söderhofers unablässiges Credo, war das Gebot der Stunde. Braig glaubte daher genau zu wissen, was ihn jetzt am Telefon erwartete.
»Das ist doch ein optimaler Start dieser Investigation, dass ich mit Ihnen kommuniziere und nicht mit Ihrer impertinenten Kollegin, dieser unzivilisierten Person«, hörte er die Stimme des Staatsanwalts. »Braig, es handelt sich um eine brisante Angelegenheit. Sie müssen alles stehen und liegen lassen und die Investigation sofort initiieren, das ist kein Joke.«
»Sofort initiieren? Was tue ich denn seit Tagen?«, erwiderte der Kommissar genervt.
»Seit Tagen? Was redens denn da? Frau Grobe hat mich doch erst vor ein paar Minuten informiert.«
»Frau Grobe?« Braig wusste nicht, wovon der Mann sprach.
»Frau Grobe, Sonja Grobe, genau«, betonte Söderhofer, »ich habe ihr zugesagt, dass Sie sich persönlich dieser Investigation annehmen werden. Das hat absoluten Vorrang vor allem anderen.«
»Frau Grobe, aha. Und um was geht es, wenn ich …«
»Sie vermisst ihren Ehemann, Herrn Rolf Grobe. Seit gestern Abend, das ist kein Joke, verstehen Sie.«
»Und wer ist dieser Herr Grobe? Was hat er mit Deimel zu tun?«
»Deimel, der tapfere Afghanistan-Kämpfer?«, antwortete der Staatsanwalt. »Was wollens denn jetzt mit dem?« Er ließ ein künstliches Husten hören. »Um was es geht, erzähle ich Ihnen später, Braig. In zehn Minuten bin ich vor dem Amt. Ich hole Sie ab.«
»Sie holen mich ab?«
»Wir fahren zu Sonja, äh, Frau Grobe. Ich habe Sie ihr angekündigt. In zehn Minuten unten vor dem Amt. Bis gleich.«
Braig wunderte sich über die ungewohnte Bereitschaft des Mannes, ihn persönlich an seinem Büro abzuholen, hatte die außergewöhnlich natürlich klingende, weitgehend von unpassenden Fremdworten freie Sprache Söderhofers im Ohr. Was war los mit dem Staatsanwalt? In welchem Zusammenhang stand der vermisste Mann mit dem Überfall auf den Soldaten? Stand Söderhofer in einer näheren Beziehung zu der Frau?
Der Kommissar lief zur Kaffeemaschine, füllte Wasser und Pulver für eine Tasse ein, überprüfte dann die eingegangenen Meldungen. Ein vermisster Teenager, zwei aus einem Heim verschwundene Demenzkranke, eine seit mehreren Tagen gesuchte, alleinstehende, ältere Frau. Nichts von einem am Morgen nicht mehr aufgetauchten Rolf Grobe.
Kein Wunder, überlegte er, keine Polizeidienststelle war bereit, einen erst seit wenigen Stunden abgängigen normalen Erwachsenen jetzt schon offiziell als vermisst auszuschreiben. Dann musste man nämlich tausend Beamte zusätzlich einstellen, nur um die Personalien aller erst seit Kurzem verschwundenen Menschen zu notieren. Der Erfahrung nach tauchten fast alle ein, zwei Tage später wieder auf. Nach einer kurzen persönlichen Auszeit, einem intensiven Alkohol- oder sonstigen Drogentrip oder einem Exzess mit einem fremden Bettgespielen oder einer Prostituierten. Früher oder später waren sie fast alle wieder da – die meisten aus freien Stücken und reich beschenkt mit neuen Erfahrungen. Weshalb also die Aufregung um diesen erst am Vorabend, wenn er das richtig verstanden hatte, entfleuchten Rolf Grobe?
Braig trank von dem Kaffee, sah unten, neben dem Haupteingang des Amtes in der Taubenheimstraße, eine der dunkelgrauen Karossen der Staatsanwaltschaft einparken. Die mehr als 1,90 Meter große, stämmige Gestalt Söderhofers trat auf die Straße, schaute hoch, winkte ihm zu.
Der hatte es aber eilig! Braig trank die Tasse leer, suchte seine Sachen zusammen, machte sich auf den Weg. Fünf Minuten später hatte er neben dem Staatsanwalt Platz genommen.
»Braig, die Investigation
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