Schwaben-Filz
richtig verstehe.«
»Freigesprochen?«
»Angeblich war es seine Mutter.«
»Die Frau soll ihren eigenen Mann getötet haben?« Neundorf bemerkte Hellners aufmerksame Miene, mit der er ihren Worten folgte, sah sein heftiges Kopfnicken.
»Hm, so steht es da«, antwortete Stöhr, »wenn ich das richtig verstehe.«
Sie bat ihn, sich genau über den Sachverhalt zu informieren, bedankte sich für die Information.
»Daher weht also der Wind«, schimpfte Hellner, der offensichtlich mitbekommen hatte, was ihr gerade mitgeteilt worden war. »Ihr Bullen seit doch einer wie der andere.« Er trat einen Schritt vor, spuckte Neundorf voller Verachtung direkt vor die Füße.
3. Kapitel
Zum zweiten Mal hintereinander hatte Steffen Braig nur schlecht, in unterschiedlich langen Intervallen und immer wieder von wachen Momenten unterbrochen geschlafen. Dass es seiner Partnerin kaum besser ergangen war, vermochte da nicht zu trösten. Ann-Sophie, ihre kleine Tochter, hatte sie die halbe Nacht auf Trab gehalten. Aufzustehen war ihm an diesem Morgen deshalb nur schwer, zudem mit ungewohnter Verspätung gelungen. Ohne richtig wach zu sein, hatte er den Wecker zum Verstummen gebracht, war dann – wahrscheinlich zum ersten Mal in den vergangen Stunden – in einen fast fünfzig Minuten währenden Tiefschlaf gefallen. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er voller Schrecken die weit fortgeschrittene Zeit bemerkt. Waschen, anziehen, zwei dünn mit schwarzer Johannisbeermarmelade bestrichene Brötchenhälften zu einer großen Tasse grünem Tee – alles wurde in größter Eile erledigt.
Als der Anruf im Amt einging, war er gerade mal fünf Minuten in seinem Büro. Er hatte weder die in den vergangenen Stunden eingetroffenen E-Mails noch die Fax-Ablage oder die amtsinternen schriftlichen Eingänge kontrolliert.
»Hier ist das Büro von Herrn Staatsanwalt Söderhofer.«
Braig deckte den Telefonhörer sorgfältig ab, versuchte den Schock mit einem laut von sich gegebenen Schimpfwort zu bewältigen. Verdammter Mist, der hatte gerade noch gefehlt! Söderhofer – womit hatte er dieses Ungemach verdient? Fluchen und Schimpfen war nicht seine Welt, ganz und gar nicht, die Erwähnung dieses Namens aber, so früh am Morgen auch von einem sonst weitgehend ausgeglichenen Charakter nur schwer zu verarbeiten.
»Herr Hauptkommissar, sind Sie am Apparat?«
»Ja, ich bin es, Braig«, bestätigte er. Die Frau konnte schließlich nichts dafür. Als Sekretärin für den Kerl arbeiten zu müssen – das war Strafe genug, es musste der Albtraum aller Büroberufe sein. Er spürte förmlich die Verpflichtung, freundlich zu ihr zu sein, ihren Tagesbeginn nicht noch zusätzlich zu belasten. »Darf ich fragen …«, setzte er deshalb an.
»Der Herr Staatsanwalt möchte Sie umgehend sprechen«, fiel sie ihm ins Wort, »ich verbinde Sie.« Der Druck, der auf ihr lastete, war nicht zu überhören.
Fast im selben Moment hatte er den Mann in der Leitung. Beim ersten Wort schon spürte er, dass es ihm genauso ging wie seiner Kollegin. »Wenn ich nur die Stimme von dem Kerl höre«, hatte Neundorf, auf Söderhofer angesprochen, erklärt, »überzieht sich mein gesamter Rücken mit Gänsehaut. Jedes noch so kleines Haar in meinem Nacken richtet sich auf.«
Braig streckte sich, zog seine Schultern hoch, versuchte, den Anflug der Gänsehaut auf seinem Rücken zu bekämpfen. Natürlich war ihm klar, in welcher Sache der Staatsanwalt ihn anrief. Ein junger, in Afghanistan stationierter Soldat der Bundeswehr war am vierten Tag seines Heimaturlaubs überfallen und niedergeschlagen worden. Der Mann hatte sich am späten Nachmittag im Hof seines Elternhauses an seinem Motorrad zu schaffen gemacht, war rücklings hinter der Maschine gelegen, um den Vergaser zu überprüfen, als eine unbekannte Person die Yamaha aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, sodass die schwere Maschine auf ihn gestürzt war und ihn unter sich begraben hatte. Der junge Soldat war erst nach lautem Rufen von seiner Freundin aus seiner Zwangslage befreit, anschließend seiner großen Schmerzen wegen sofort ins Krankenhaus transportiert worden, wo man einen komplizierten Unterschenkelbruch diagnostiziert hatte.
So sehr er das Schicksal des Mannes bedauerte, Braig wusste bis heute nicht, wieso er sich mit der Suche nach den Tätern befassen sollte. Nur weil die Hirne gewisser Staatsanwälte von dem Wahn vernebelt waren, im Land seien Horden von linken Terroristen unterwegs, die nichts anderes zu
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