Schwaben-Filz
Braig der Eingang einer Mail signalisiert wurde. Er zog sein Handy vor, sah auf das Display.
Dringend! Bitte Rückruf! Ohmstedt
Der Kollege, der lange in Braigs Abteilung tätig gewesen und mit ihm inzwischen gut befreundet war, glaubte wahrscheinlich, die Pressekonferenz finde noch statt, und hatte deshalb auf einen Anruf verzichtet.
Dankbar, auf andere Gedanken zu kommen, löste Braig sich aus der Menge und stieg die Treppen zu seinem Büro hoch. Das Hickhack um die Überlegungen, warum es so lange gedauert hatte, bis der Teppich als Ursache des Unfalls erkannt worden war, sowie die Verwunderung darüber, dass im LKA allem Anschein nach neuerdings verschiedene Ermittlergruppen mit denselben Fällen beschäftigt waren, hatten sich endlos hingezogen.
Braig nahm die letzten Stufen, lief in sein Büro, atmete tief durch. Endlich geschafft!
Er nahm sein Handy, gab Ohmstedts Nummer ein.
»Die Pressefritzen sind gegangen?«
»Zum Glück. Du hast ja wohl gehört, was mit unserem Hauptverdächtigen passiert ist.«
»Deshalb muss ich mit dir reden.«
Braig horchte auf. »Wegen unseren Ermittlungen?«
»Genau. Du bist in deinem Büro?«
»Ja.«
»Ich komme hoch. Jetzt sofort.«
Braig lief zur Kaffeemaschine, füllte Wasser und Pulver ein. Die ersten Tropfen blubberten ins Glas, als Ohmstedt den Raum betrat. Er klopfte ihm auf die Schulter, setzte sich auf einen Stuhl.
»Eine Neun-Millimeter-Parabellum, auch
Luger
genannt«, sagte Ohmstedt. »Sie macht euch Sorgen, habe ich gelesen. Richtig?«
»Grobe, Robel und jetzt auch Ruppich. Dolde hat mich vorhin informiert. Ruppich wurde doch an seinem Fundort erschossen. In allen Fällen die gleiche Waffe.«
»Ein alter Bekannter hat Muffensausen. Dem geht der Hintern dermaßen auf Grundeis, dass er sich freiwillig bei mir gemeldet hat. Ich betreue ihn seit einiger Zeit, wenn du verstehst.«
Einer der halbseidenen Polizeiinformanten. Spitzel, hatte man die Leute früher genannt. Personen, die sich in einem Umfeld bewegten, dem man problematische Verhaltensweisen zuschrieb. Oft waren es Kleinkriminelle, deren Treiben als Gegenleistung für gelegentliche Hinweise toleriert wurde, wusste Braig. »Er kennt einen Typ, der mit genau diesem Monstrum durch die Lande zieht?«, fragte er.
Ohmstedt nickte. »So etwa, ja.«
»Hat er einen konkreten Verdacht?«
»Es hört sich so an, in der Tat.«
»Und du glaubst, da ist was dran. Mein Gott, weißt du, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe?«
»Noch ist es offen.«
»Ja. Aber wenn du mich extra informierst …« Braig wusste nur allzu gut, wie akribisch Ohmstedt arbeitete, mit welchem persönlichen Einsatz er sich seinen Ermittlungen hingab, wie klug und erfahren er seine Untersuchungen vorwärtstrieb. »Wo finde ich die Waffe?«
»Mein Informant legt Wert darauf, nicht als Waffendealer tätig zu sein. Es sei eine Ausnahme. Ein Akt puren Mitleids.«
»Wem hat er die Waffe gegeben?«
»Einer Nachbarin. Eine ängstliche, kontaktscheue Person. Vom Schicksal gebeutelt. Ihre Tochter liegt in der Psychiatrie. Der Mann ist einfach davon. Die Frau sei nur noch ein Haufen Elend, glaubte er. Bisher.«
»Und dann hat er ihr einfach so die Waffe gegeben?«, fragte Braig verwundert.
»Mein Informant hatte Mitleid. Das ist alles. Sie hat an ihren lichten Tagen schon für ihn gekocht, ihm ab und zu Essen gebracht. Einfache Sachen, aber immerhin. Smalltalk unter Nachbarn, wenn ich das richtig verstanden habe. Irgendwann kamen sie darauf zu sprechen. Sie fühlt sich bedroht. Lässt die ganze Nacht das Licht brennen, vor lauter Angst. Manchmal heulte sie tagelang. Fängt immer wieder von ihrer Tochter an, hat nur deren Schicksal im Kopf. Da bot er ihr die Waffe an. Nur für die Psyche. Damit sie sich sicherer fühlt. Sie stamme aus einer Erbschaft von seinem Onkel aus dem Zweiten Weltkrieg. Wer’s glaubt, wird zehn Mal selig. Na ja. Seither hat er die Nachbarin jedenfalls kaum mehr gesehen. Die sei jetzt plötzlich dauernd unterwegs, meint er.«
»Wann hat er ihr die Waffe gegeben?«
»Vor fünf Wochen.«
»Zu der Zeit kam Ruppich aus dem Gefängnis.«
»Ich weiß. Ich habe dein Protokoll bei Katrin eingesehen.«
»Wie heißt die Frau? Du weißt, wo sie wohnt?«
»Klara Börrisch. Sie wohnt in Stuttgart.«
»Haben wir was über sie?«
»Nein«, sagte Ohmstedt. »Über sie nicht. Aber über eine Silke Börrisch.«
»Und?« Braig hörte die alte Kaffeemaschine in den höchsten Tönen seufzen und den Rest von Dampf
Weitere Kostenlose Bücher