Schwaben-Filz
ins Schlafzimmer. Neundorf kniete vor dem Bett, einen großen Karton vor sich, die Ärztin mit starren Augen daneben. Er sah die Waffe sofort, eine alte Neun-Millimeter-Parabellum aus dem Zweiten Weltkrieg, genau das Modell, mit dem Ruppich, Grobe und Robel erschossen worden waren. Und wahrscheinlich auch Henfle, war er sich bewusst. Ohmstedts Informant, er hatte die Wahrheit gesagt.
Neundorf und Braig streiften sich Plastikhandschuhe über, steckten die Waffe in eine Tüte, die Munition ebenso. Im gleichen Moment sah er die Zeitungsausschnitte. Grobe, gemeinsam mit Robel, Ruppich und Henfle vor einer Baustelle postiert, gemeinsam in die Kamera lächelnd.
Die Väter des neuen Oettinger Zentrums
als Bildunterschrift.
Weitere Artikel, immer wieder einen oder zwei der Männer porträtierend und in den höchsten Tönen lobend. Und dann drei weiße Blätter im Format DIN A4, jedes mit demselben handgezeichneten Motiv. Ein Motiv, das Braig nur allzu bekannt vorkam. Ein großes, lustig aussehendes Schwein mit Ringelschwanz.
»Von Ruppich gezeichnet«, sagte er, »wahrscheinlich unter vorgehaltener Waffe.« Im selben Moment fiel ihm ein, wo er Klara Börrisch bereits gesehen hatte. Vor Gerald Robels Haus, als er den Mann abends besucht hatte. Die Frau mit den Werbeblättern an Robels Briefkasten. War er ihr dazwischengekommen, hatte er damit das Leben des Mannes um ein, zwei Stunden verlängert?
Er legte die Papiere zur Seite, sah eine handgeschriebene Liste mit vier Namen und angefügten Zahlen.
Ruppich 31.10
.
Grobe 3./4.11
.
Robel 4.11
.
Henfle
»Die Tage, an denen sie sie ermordete«, überlegte er laut.
»Was ist mit Henfle?«
»Sie kam noch nicht dazu, das Datum einzutragen. Der Anfall hat sie gehindert.«
Dann hatte er den Camcorder in der Hand. Ein kleines, graues Gerät, fast genau die Ausführung, die sie sich kurz nach der Geburt seiner Tochter zugelegt hatten. »Eine Videokamera«, überlegte er laut. »Wieso liegt die in diesem Karton?«
Er drückte auf zwei, drei Knöpfe, hatte den Film plötzlich auf dem etwa zehn auf zehn Zentimeter großen Monitor. Ein verängstigter Mann, völlig verstört in die Kamera blickend. Ruppich, er erkannte ihn sofort.
»Silke hat mir alles erzählt«, polterte eine wütend klingende Frauenstimme, »alle paar Wochen hat sie ein paar lichte Momente, da kommt ihre Erinnerung wieder durch. Sie weiß genau, welches Schwein sie in diese Hütte gebracht hat. ›Ich kenne ihn vom Tennisverein, deshalb habe ich ihm vertraut‹, hat sie mir erzählt. Und jetzt ist es soweit, jetzt habe ich das Schwein vor mir.«
»Ja, das gebe ich ja zu«, jammerte Ruppich in die Kamera. »Silke ist mir damals auf dem Fest zur Bahnhofseinweihung in Oettingen über den Weg gelaufen. Ich kannte sie vom Tennisverein, ja. Es war spätabends und ich wollte weg, noch einen draufmachen in Robels Hütte. Die anderen warteten schon.«
»›Der hat mich dorthin gebracht‹, hat sie mir erzählt, ›ohne den wäre das nie passiert‹«, meldete sich die Frauenstimme wieder zu Wort. »Jahrelang habe ich darauf gewartet, dass du endlich aus dem Gefängnis kommst. Jetzt ist es soweit. Du Schwein, wie konntest du ihr das antun? Sie hat so für dich geschwärmt, und du hast das eiskalt ausgenutzt. Wer waren die anderen?«
Ruppich fuchtelte mit den Händen durch die Luft. »Mein Gott, mit dem, was dann passierte, habe ich nichts zu tun. Das waren Grobe und Robel, die Silke immer neue Ladungen von Likör und Cocktails einflößten. Die hatten ihren Spaß daran, sie betrunken zu machen.«
»Wer war es? Grobe und Robel?«
»Rolf Grobe und Gerald Robel, ja.«
»Und dann?«
»Was?«
»Wer hat Silke Gewalt angetan?«, brüllte die Frauenstimme. Für einen Moment war die Luger zu sehen, direkt vor Ruppichs Gesicht durch die Luft schwenkend. »Wer?«
Der Mann riss schützend seine Arme hoch, warf den Kopf zur Seite. »Ich war doch selbst stockbesoffen in der Nacht, ich konnte doch …«
»Wer?«, kreischte die Frau.
»Henfle. Es war Henfle. Ich weiß es nur, weil ich irgendwann aufs Klo torkelte. Ich öffnete die falsche Tür, da sah ich ihn. Mit Silke …«
»Ihr verdammten Schweine. Dafür werdet ihr jetzt büßen. Einer nach dem anderen.«
»Sie wollen zur Polizei?«
»Polizei?« Die Stimme der Frau drohte sich zu überschlagen. »Dafür brauche ich keine Polizei. Damit du Schwein nach ein paar Wochen wieder draußen bist? Nein, das erledige ich selbst. Ich habe lange genug darauf gewartet. Hier, das
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