Schwaben-Freunde: Kommissar Braigs 16. Fall (Schwaben-Krimi) (German Edition)

Die Ausgangsprodukte von Schiefergas waren Algen und tote Meerestiere, die gemeinsam mit Mineralien auf den Meeresboden sanken und dort unter großem Druck über viele Millionen Jahre hinweg zu Schiefergestein zusammengepresst wurden. Das organische Material verwandelte sich im Verlauf der Zeit in Erdöl und Erdgas.«
    »Und dieses Schiefergas vermutet man auch hier bei uns.«
    »Von Vermutung kann nicht die Rede sein. Es existiert tatsächlich, das wissen wir. Es geht nur um die Problematik der Erschließung des Gases.«
    »Das sogenannte Fracking.« Braig bemerkte, wie der Mann zunehmend ruhiger wurde. Die Beschäftigung mit seinem Spezialgebiet ließ ihn offensichtlich zumindest ein Stück weit vergessen, welches Problem ihm derzeit so intensiv zu schaffen machte.
    »Genau. Seit ein paar Jahren wird diese Methode vor allem in den USA praktiziert. Man bohrt zuerst vertikal in den Untergrund, stößt dann in der Tiefe horizontal, sozusagen von der Seite her, in das Gestein vor. Anschließend wird unter sehr hohem Druck ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in das Bohrloch gejagt. Das Gestein wird dadurch aufgebrochen, das Gas kann abgepumpt werden. Der Chemikaliencocktail hat die Aufgabe, den Sand langsamer sinken und das Gas leichter entweichen zu lassen. Das funktioniert normalerweise recht gut, ein Teil der Chemikalien aber bleibt im Gesteinsbrei zurück. Das sind meistens nur geringe Anteile der ursprünglich eingesetzten Menge. Weil man das Fracking aber großflächig durchführen muss, um an ausreichende Gasvolumina zu gelangen, summieren sich diese Mengen und niemand kann garantieren, dass das toxische Material nicht ins Grundwasser gelangt. Und damit ganze Regionen kontaminiert. Beispiele dafür gibt es aus anderen Ländern leider zur Genüge. Deshalb muss man die Vor- und Nachteile dieser Explorationsmethode genau abwägen, vor allem natürlich in unserem dicht besiedelten Land.«
    »Das ist der Inhalt Ihrer Studie.«
    »Das ist, grob gesprochen, der Inhalt, ja.«
    »Und genau darum geht es auch diesen Erpressern.«
    Leitners Miene veränderte sich im Bruchteil einer Sekunde. Er lief bleich an, bewegte seinen Kopf unstet hin und her. Mit einem Mal hatte ihn die Nervosität wieder im Griff. Er schaute an Braig und Neundorf vorbei zum Schreibtisch, zurrte sich die Krawatte zurecht, strich mit zitternden Fingern über den Ärmel seines Jacketts. »Sie wollen …«, erklärte er mit stockender Stimme.
    »Ja?«
    »Die Probleme ökologischer Art seien zu beherrschen. Eine Kontamination des Grundwassers oder bestimmter Gesteinsschichten sei nahezu auszuschließen. Gerade bei uns im Südwesten.«
    »Zu diesem Ergebnis sollen Sie in Ihrer Studie abschließend kommen.«
    Leitner verzog sein Gesicht zur unansehnlichen Grimasse, nickte.
    »Aber das entspricht nicht der Realität«, spekulierte Braig.
    Der Mann brach erneut in Tränen aus, schüttelte den Kopf. »Ich muss die ganze Zeit nur an Elena und an meine Anna denken. Sie gehen mir einfach nicht aus dem Kopf. Was sie mit Elena gemacht haben, werden sie auch mit Anna tun. Das mit Elena war nur zu meiner Warnung, das nächste Mal ist meine Familie an der Reihe.« Leitner zog die Nase hoch, schluckte, kämpfte um Luft. »Und was Ihre Frage betrifft: Nein, das entspricht überhaupt nicht der Realität. Ganz im Gegenteil. Wir müssen mit der Verseuchung ganzer Regionen rechnen.«

35. Kapitel
    Wir müssen als Erstes feststellen, ob irgendeine Verbindung zwischen Leitner beziehungsweise diesem Fracking zu einer der Personen existiert, mit denen wir es zu tun haben. Also: Rassauer, Rielke oder Frau Steib«, hatte Neundorf erklärt. »Oder fällt dir auf Anhieb etwas dazu ein?«
    »Tut mir leid. Ich muss passen.« Braig hatte den Kopf geschüttelt. »Lass uns im Internet nachschauen, vielleicht finden wir dort Berührungspunkte. Wenn die Kleine wirklich nur entführt wurde, um dieses geologische Gutachten zu beeinflussen … Mein Gott, wie verkommen sind diese Typen denn?«
    »Verkommen?« Neundorf war in lautes Gelächter verfallen. »Junger Mann, in welcher Welt lebst du? Es geht um Millionen, vielleicht sogar Milliarden. Dafür tun die alles. Was spielt da das Elend eines Kindes und seiner Eltern eine Rolle?«
    Sie hatten Leitner unter der Begleitung Aupperles nach Hause geschickt und den Mann samt seiner Familie mit sofortiger Wirkung unter Polizeischutz gestellt.
    »Es muss sein?«, hatte Maria Schmeckenbecher zu bedenken gegeben.
    »Ich weiß, die Kosten.«