Schwaben-Gier
hörte Ann-Katrin leise stöhnen, spürte das Pochen hinter seinen Schläfen. Jetzt aufzustehen, bedeutete Kopfschmerzen über den ganzen Tag hinweg, wusste er aus Erfahrung. Er spürte die Hand seiner Freundin, die ihm zärtlich über die Stirn fuhr, sah, wie sie sich mühsam aus dem Bett schälte.
»Fünf vor sieben«, sagte sie, »wir müssen.«
Er ließ ihr den Vorrang, verharrte noch ein paar Minuten mit geschlossenen Lidern, hörte sie aus dem Bad kommen.
»Du hast schlecht geschlafen?«, fragte sie.
Braig fühlte sich zu müde, eine korrekte Antwort zu formulieren, signalisierte ihr mit einem kurzen Brummen, dass sie richtig vermutete. Er erhob sich langsam, stellte sich kurz unter die Dusche, roch den Kaffeeduft, als er, seine Kleider in der Hand, die Küche betrat. »Reicht es noch?«, fragte er.
Sie nickte, strich sich ein Brot, schenkte zwei Tassen voll. Braig reichte ihr Milch, bediente sich selbst.
»Vielleicht ist dein Fall schon gelöst«, versuchte sie ihn aufzumuntern, »irgendein Gastwirt hat heute Nacht von eurem Aufruf gehört und den entscheidenden Tipp schon durchgegeben.«
Er benötigte ein paar Sekunden, bis er ihren Gedankengang verstand, sah ihr verschmitztes Lächeln. »Schön wär’s«, sagte er, »aber die Wirklichkeit sieht leider anders aus.« Er beugte sich zu ihr nieder, küsste sie, griff dann nach dem Telefon, ließ sich mit dem Amt verbinden.
Kriminalobermeister Stöhr hatte Dienst, er begrüßte Braig, verneinte seine Frage nach einem Anruf zum Mordfall Kindler. »Es tut mir Leid, aber bisher liegt uns keine Mitteilung vor.«
Er seufzte leise, gab dem Kollegen den Auftrag, bei den beiden Telefongesellschaften alle Gesprächsverbindungen Marianne Kindlers vom Montag feststellen und ihm die Liste zumailen zu lassen, legte auf.
»Vielleicht ist es einfach noch zu früh«, versuchte Ann-Katrin ihn zu trösten, »Gastwirte stehen erst später auf.«
Er nickte, griff nach seinem Notizblock, suchte die Telefonnummer Hermann Kindlers. Schon nach dem ersten Läuten hatte er den Mann am Apparat. »Braig vom LKA hier. Entschuldigen Sie bitte, dass ich so früh störe.«
»So früh?«
Er hatte Schwierigkeiten, den Mann zu verstehen, weil er von ohrenbetäubendem Lärm begleitet wurde.
»Mir schaffet scho seit fascht einer Stund.«
Der Intensität der Geräusche nach waren mehrere voll eingeschaltete Rührmaschinen am Werk.
»Obwohl Ihre Frau …«, setzte Braig an, verschluckte aber den Rest des Satzes.
»I han die halbe Nacht Rotz und Wasser gheult«, bruddelte Kindler, »ond i woiß au net, wie’s weiter gange soll. Aber glaubet Sie vielleicht, unsere Nudle backet sich von selbscht, wenn mir den ganze Tag weiter heulet?«
Braig wunderte sich über die Arbeitsmoral des Mannes, gab keine Antwort.
»Ond? Weshalb rufet Sie a?«
»Ich würde gerne nochmal bei Ihnen vorbeischauen. Heute Morgen. Ist das möglich?«
»Wenn Sie uns in unserer Arbeit net störet.«
Braig versprach es ihm, legte den Hörer zurück, sah, wie Ann-Katrin zu ihrer Jacke griff.
»Du willst zu dem Mann der Ermordeten?«
»Ich muss wissen, ob sie von einem Konkurrenten bedroht wurden«, antwortete er, »und ob sie ein Verhältnis hatte.«
Sie schaute überrascht zu ihm hinunter, schlüpfte in die Jacke. »Und du glaubst, dass er dir eine ehrliche Antwort gibt?«
»Wen soll ich sonst fragen?«
Sie beugte sich nieder, küsste ihn, nahm ihre Schlüssel. »Die Nachbarn«, sagte sie. »Oettingen ist keine Großstadt, oder?«
Er sah ihr Lächeln, strich ihr über den Arm, wünschte ihr alles Gute. Ann-Katrin Räuber trat schweigend aus der Küche.
Er hörte die Tür ins Schloss fallen, nahm sich zwei Brote. War es normal, überlegte er, dass ein Mann, der am Vortag vom Tod seiner Frau erfahren hatte, morgens kurz nach sieben wieder an seinem Arbeitsplatz stand und mit den Maschinen kämpfte, als sei nichts geschehen?
Braig belegte die Brote mit Käse, kaute langsam, trank von dem Kaffee. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als das Telefon läutete. Der erste Gastwirt, überlegte er.
Neundorfs Stimme belehrte ihn eines Besseren. »Du musst allein zurechtkommen«, begann sie unvermittelt, »so leid es mir tut. Irgendein hohes Tier wurde überfahren, angeblich absichtlich, und jetzt stellen sie eine Sonderkommission zusammen und ich bin dabei. Koch steckt dahinter, wer sonst.«
Allein schon der Name des Oberstaatsanwaltes vermochte eine Gänsehaut auszulösen. Er spürte, wie ihm ein
Weitere Kostenlose Bücher