Schwaben-Gier
Pudel kam vorsichtig näher, versuchte, sich von dem Mischling zu lösen, schnupperte seine Beine hoch. Sie sah Braigs kritischen Blick, versuchte ihn zu beruhigen. »Koi Angst, d’ Angela macht nix. Die isch harmlos. Nur der Rappelmaier do, den jag i jetzt zom Deifel, wenn er uns net in Ruh lässt.« Sie trat mit ihrem rechten Fuß nach dem Mischling, veranlasste das Tier, zur Seite zu springen.
»Gehört er nicht zu Ihnen?«, fragte der Kommissar.
»Noi, was glaubet denn Sie? Moinet Sie, i schleif so a Ziefer mit mir rum?«
Braig ersparte sich eine Antwort, löste sich langsam von der prüfenden Nase des Pudels, lief im Bogen um die Frau herum.
»Hent Sie d’ Englere nach dem Liebhaber gfragt?«
»Wen?« Er war schon im Begriff, weiterzugehen, blieb auf gleicher Höhe mit ihr stehen.
Frieda Bachmann zerrte ihren Hund zu sich her, schüttelte den Kopf. »D’ Englere.« Sie zeigte ein paar Häuser weiter auf die andere Straßenseite. »Des weiße Haus, zwoi vor unserem.«
»Weshalb soll ich sie fragen?«
Die Frau seufzte laut. »Weil die den scho gsehe hat.«
»Den angeblichen Liebhaber Marianne Kindlers?« Braig starrte überrascht zu seiner Gesprächspartnerin.
»Jetzt gucket se, gell! Genau den.«
»Wann will sie ihn gesehen haben?«
»Was weiß i? Fraget Sie se doch selber!«
Er ließ sich den genauen Namen der Frau geben, Gretl Geissler, hörte die Bemerkung Frieda Bachmanns.
»Aber lasset se sich net zu dere ihre Spinnereie bekehre!«
»Welche Spinnereien?«
»Des werdet Sie schon merke.«
Er sah, wie der Pudel erneut von dem Mischling bedrängt an der Leine zerrte, verabschiedete sich. Die Frau schimpfte laut, trat nach dem Tier. Braig kümmerte sich nicht länger um sie, lief auf das Haus mit der weißen Fassade zu. Büsche im ersten zarten Frühlingskleid standen im Vorgarten, eine schmale Hecke aus Buchs und Koniferen schützte den Rasen vor Passanten. Als er an Monika Hellers Haus vorbei kam, hatte er unwillkürlich die Szenerie des Vortags wieder vor Augen: Auto auf Auto die Straße hintereinander aufgereiht, unzählige Menschen in dunkler, teilweise festlicher Kleidung vor dem Eingang genau des Hauses wartend, auf das er jetzt zusteuerte. Im selben Moment glaubte er zu verstehen, was die Frau gerade mit Spinnereien gemeint hatte: Die Sache mit dem angeblichen Engel, auf den die Leute gestern gewartet hatten.
Er schob den Gedanken beiseite, erreichte das schmale schmiedeeiserne Gartentor, las den Namen neben der Klingel: Hans und Margarethe Geissler. Braig drückte auf den Knopf, hörte das laute melodische Glockenspiel aus dem Inneren des Hauses. Er musste nicht lange warten, wurde von einer knarzenden Lautsprecherstimme belehrt, dass heute leider kein Kontakt mit dem Engel zu erwarten war.
»Ich will keinen Kontakt«, sagte er laut, »ich bin vom Landeskriminalamt und möchte Frau Geissler sprechen.«
Eine Antwort blieb aus, stattdessen wurde die Tür geöffnet und eine gepflegte Frau Mitte vierzig erkundigte sich nach seinem Wunsch.
»Sie sind nicht von der Presse?«, fragte sie, das R rollend und mit unüberhörbar alpenländischem Akzent.
Braig zog seinen Ausweis, streckte ihn ihr entgegen, stellte sich vor. »Kann ich Sie einen Moment sprechen, bitte?«
Die Frau wies ins Innere des Hauses, wartete, bis er die Gartentür geöffnet und die drei Stufen erklommen hatte, reichte ihm dann die Hand. Er roch ihr sparsam dosiertes Parfüm, betrachtete die außergewöhnliche Aufmachung, in der sie sich ihm präsentierte: Eine weiße, mit feinen Stickereien verzierte Bluse, um den Hals einen dunkelblauen breiten Schal, darüber einen gelben, fein seidig glänzenden Überwurf, der ihr bis weit über die Hüfte reichte. Ihr Gesicht war dezent geschminkt, die Haare zu einem fülligen Knoten gebunden.
Margarethe Geissler schloss die Tür hinter ihm, begleitete ihn dann in ein großes, nur mit einem kreisrunden Tisch, wenigen Stühlen und einem gewaltigen Mehrsitzer-Sofa ausgestattetes Zimmer. Der Boden war mit mehreren Lagen Teppich weich gepolstert, Orientmuster in warmen Rottönen präsentierend. An den Wänden hingen Bilder mit breitflügeligen Engeln, kitschige, dem Klischee nach empfundene Figuren, auf dem Tisch thronte eine etwa fünfzig Zentimeter hohe, aus Holz geformte Statue eines seine Flügel ausbreitenden Himmelsboten. Die Frau wies Braig das Sofa als Sitzgelegenheit zu, fragte, ob sie ihm etwas anbieten dürfe.
Er bedankte sich, lehnte aber ab, weil er nicht allzuviel Zeit
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