Schwaben-Gier
hat mir Ihre Karte gegeben, vielleicht erinnern Sie sich.«
»Oh ja, Frau Heller. Sie arbeiten bei der Firma Kindler.«
»Genau. Ich bin gerade in Stuttgart auf dem Markt, Nudeln verkaufen. Das heißt, ich war. Beim Einpacken fiel mir eine Zeitung in die Hand. Deshalb rufe ich an.«
»Sie haben etwas entdeckt?« Braig sah aus dem Fenster, merkte, dass Schiek auf die Lorcher Straße abbog, um Schwäbisch Gmünd zu verlassen.
»Das Bild aus Heilbronn, dort wo …« Monika Heller verstummte.
Er hörte, wie sie schluckte, begriff, worauf sie hinaus wollte. »Am Neckar, unterhalb vom Götzenturm«, sagte er vorsichtig.
Sie stimmte ihm zu. »Ja, genau. Ich sah das Bild und erkannte das Lokal sofort. Hans im Glück, es ist im Hintergrund zu sehen.«
»Sie kennen es?«
Ihre Antwort kam sofort. »Ja, natürlich. Marianne hat ihnen doch Nudeln verkauft.«
Braig spitzte die Ohren. »Dem Restaurant?«
»Ja, deswegen rufe ich an. Ich wusste nicht, ob Ihnen das bekannt ist.«
Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn, sah, dass sein Kollege zu ihm her schielte. »Nein, das war mir nicht bekannt«, gab er zu.
»Ich weiß nicht, ob das etwas zu bedeuten hat, aber man weiß ja nie und deshalb dachte ich, rufe ich Sie an.«
Natürlich konnte das etwas zu bedeuten haben, überlegte er, ohne jeden Zweifel war es möglich, dass Zusammenhänge existierten. Er machte sich Vorwürfe, nicht schon früher daran gedacht zu haben, dass Marianne Kindlers Leiche gerade dort gefunden wurde.
»Sie liebte das Lokal sehr«, fuhr Monika Heller fort, »Hans im Glück, es trägt seinen Namen zu Recht – ein wunderbarer Ort zum Ausruhen, sagte sie oft. Im Frühling und im Sommer aß sie manchmal draußen unter den Bäumen zu Abend, vor allem, wenn sie Manuel dabei hatte, und einmal waren wir sogar alle dort. Unser Betriebsausflug sozusagen, von der Firma bezahlt.«
»Alle Mitarbeiter?«
»Letzten Sommer«, antwortete die Frau, »irgendwann im September. Sie war mit Manuel dort, und der war so begeistert, dass sie beschloss, uns alle einzuladen.«
»Wer ist Manuel?«
»Mariannes Sohn. Sie kennen ihn nicht?«
Braig erinnerte sich, den Namen gehört zu haben, hatte keinerlei Informationen über den Mann. »Er arbeitet nicht in der Firma mit?«
Monika Heller seufzte laut. »Sie wissen nicht viel über die Kindlers, wie?«
Er überlegte, was er antworten sollte, gab ein undeutliches »eigentlich nicht, nein«, von sich.
»Sie hatten nicht viel Glück in den letzten Jahren«, sagte sie, »obwohl sie so fleißig sind.«
»Was ist mit diesem Manuel?«
»Er sollte die Firma übernehmen«, erklärte Monika Heller, »die Pläne für den Ausbau und neue Maschinen waren alle schon ausgearbeitet. Manuel studierte Lebensmittelchemie. Drei Jahre war er im Betrieb, als es passierte.«
Irgendwas mit Drogen, überlegte er. War der Sprössling, wie so oft in fleißigen Familien, vom geraden Weg abgekommen?
»Er wurde von einem Auto angefahren.«
»Und?«
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. »Seitdem ging es nur noch von Klinik zu Klinik. Er hatte schwere Kopfverletzungen. Dass er überhaupt wieder auf die Beine kam, ist ein Wunder. Selbständig wird er nie mehr leben können. Sie sollten ihn sehen, wie er aussieht. Aufgeschwemmt von Medikamenten.«
»Er ist das einzige Kind der Kindlers?«
»Marianne hatte noch zwei Fehlgeburten. Kein heller Stern über der Familie, wie?«
»Wo lebt er jetzt?«
»In Stetten im Remstal. Sie kennen das Werk?«
»Ja.« Braig hatte schon viele bewundernswerte Berichte über die Arbeit des diakonischen Zentrums gehört, das Hunderten von Menschen, die mit dem modernen Leben nicht zurechtkamen, eine Heimat bot.
»Manchmal in der letzten Zeit nahm Marianne ihn mit auf ihre Verkaufstouren.«
»Ihren Sohn?« Er fragte in solcher Lautstärke, dass Schiek erstaunt zu ihm her sah. Braig begriff sofort, was die Aussage der Frau bedeuten konnte.
»Ja, und manchmal übernachtete sie auch irgendwo unterwegs, um ihm eine Freude zu machen.«
»Wie sieht er aus?«, fragte er aufgeregt. »Können Sie ihn kurz beschreiben?«
»Heute oder früher?«, erwiderte sie. »Da sind Welten dazwischen. Sie werden ihn nicht wiedererkennen.«
»Heute natürlich«, rief er ungeduldig.
Sie wunderte sich offensichtlich über die Schärfe in seiner Stimme, ließ mit ihrer Antwort auf sich warten. »Wie soll ich ihn beschreiben? Groß, blonde Haare, dicke Backen …«
»Eine große Nase?«, fiel er ihr ins Wort.
»Na ja, gut,
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