Schwaben-Gier
näher?«
Suzanna Imenschek antwortete ohne lange zu überlegen. »Sie brachte uns Nudeln. Alle paar Wochen. Wir sprachen miteinander, ja. Sie war sehr sympathisch. Ob wir uns näher kannten? Nein, das kann ich nicht sagen.«
»Kam sie immer allein zu Ihnen? Oder erinnern Sie sich an einen Mann als Begleiter?«
»Einen Mann? Ja, zweimal, glaube ich. Letzten Herbst, wenn ich mich richtig entsinne. Das war aber die Ausnahme. Sonst kam sie immer …«
»Können Sie den Mann beschreiben?« Braig fiel der Frau mitten ins Wort. Er sah, dass Schiek kurz zu ihm her schielte, spürte seine Erregung. Letzten Herbst, das konnte passen.
»Beschreiben? Das geht nicht. Es war ein großer Mann mit einem dicken Gesicht; dicken Backen wollte ich sagen. Ich kann ihn nicht beschreiben, dazu habe ich ihn viel zu kurz gesehen.«
Braig hatte Mühe, an sich zu halten, wartete ungeduldig, bis sie ihren Satz beendet hatte. Dicke Backen, mehr brauchte sie nicht zu sagen. »Frau Imenschek, Sie können uns entscheidend weiter helfen. Wir haben ein Bild mit diesem Begleiter von Frau Kindler. Ich muss es Ihnen zeigen, vielleicht erkennen Sie ihn. Wann kann ich bei Ihnen vorbeikommen? In einer halben Stunde?« Er schaute auf seine Uhr, warf Schiek einen fragenden Blick zu. Der Kollege nickte mit dem Kopf, gab stillschweigend seine Zustimmung, den Umweg über Schwäbisch Gmünd zu nehmen.
»Aber nur, wenn Sie sich beeilen«, antwortete die Frau, »ich bin nämlich dabei, aufzuräumen.« Sie machte eine kurze Pause, fügte einen weiteren Satz hinzu. »Wollen Sie etwa sagen, dieser Begleiter von Frau Kindler hat sie getötet?« Ihre Stimme klang gepresst.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Wir können es jedenfalls nicht ausschließen.«
Suzanna Imenschek schrie laut auf. »Oh mein Gott! War das etwa ihr Freund?«
»Der Mann ist uns bisher leider noch nicht bekannt. Aber vielleicht erkennen Sie ihn wieder«, versuchte er, sie zu beruhigen, »das könnte uns entscheidend weiterhelfen.«
Sie versprach, auf ihn zu warten, verabschiedete sich. Braig schaute nach draußen, sah, dass sie Reutlingen bereits verlassen hatten. Die markante Erhebung der Achalm war schon aus ihrem Blick verschwunden. Er dachte an die Worte der Frau: ein großer Mann mit dickem Gesicht, überlegte, dass sie dem Porträt, das Schiek gezeichnet hatte, damit verblüffend nahe kam. Ob sie den Mann erkennen würde? Er fühlte sich zu müde, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, lehnte sich in seinen Sitz zurück.
Torsten Rails Gestalt tauchte wie aus dem Nichts vor ihm auf. Er sah den drahtigen Körper des Kollegen, hörte ihn eine seiner flapsigen Bemerkungen äußern, mit denen er die gemeinsamen Unterrichtsstunden an der Polizeiakademie oft aufgelockert hatte. Torsten Rail, der fast zu jeder Tageszeit gut aufgelegte Sonnyboy ihres Kurses.
Ein auf breiten Reifen protzig aufgeständerter Geländewagen kam ihnen weit auf die Mitte der Fahrbahn ausgreifend entgegen. Schiek riss das Steuer nach rechts, schimpfte laut. »Hast du das gesehen?«
Braig erwachte aus seinen Gedanken, spürte, wie es in ihm arbeitete. Torsten sollte seine Lebensgefährtin ermordet haben? Sandra Rehles kam in Dienstuniform freundlich lächelnd auf ihn zu gelaufen, Ann-Katrin wenige Meter dahinter. Nur ein paar Betrunkene, hörte er sie sagen, eine Hand voll Unfälle und eine verwirrte alte Frau, nichts Schlimmes heute. Ihre Haare stoben durch die Luft, als sie ihre Polizeimütze absetzte. Sie warf die blonde Mähne zurück, winkte ihm fröhlich zu. Und jetzt vier Tage frei, er hörte ihre Stimme wie damals, Überstunden abfeiern. So lässt es sich leben, oder?
Leben, überlegte er, ihr Leben war wirklich vorbei? Gewaltsam beendet von ihrem eigenen Partner?
»Du hättest den Kerl festnehmen sollen«, schimpfte Schiek, »diese Rowdies müssen runter von den Straßen.«
Braig kam endgültig zu sich, atmete tief durch. »Ich weiß nicht, wie es dir geht«, sagte er laut, »aber je älter ich werde, desto weniger verstehe ich dieses Leben.«
Schiek warf ihm einen kritisch abschätzenden Blick zu, unternahm keinen Versuch, sich die Gedanken des Kollegen zu erschließen. Schweigend bewältigten sie den Rest der Strecke bis Schwäbisch Gmünd.
Die Stadtvilla lag in der Parierstraße am Rand des Zentrums am Josefsbach. Braig bat Schiek, ihn samt seinem Laptop zu begleiten, um eventuelle Korrekturen des Phantombildes fachmännisch in die Wege leiten zu können, klopfte an
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