Schwaben-Gier
sich vorgestellt hatte. Auch nach einer erneuten Durchsicht ihres Büros war es ihm nicht gelungen, auf irgendeine Information über ihre Verbindungen zu dem asiatischen Land zu stoßen.
Frustriert verließ er den Raum, stieg die Stufen hinunter, suchte noch einmal den Fabrikanten auf. Das Bild, das sich ihm bot, kannte er von seinen Besuchen an den vergangenen Tagen: Hermann Kindler und Herbert Luithardt knieten, an verschiedenen Armaturen schraubend, vor und unter der großen Maschine. Sie schienen mehr Zeit für Reparaturen des alten Monstrums als für die Produktion ihrer Teigwaren aufzuwenden.
»Es tut mir Leid«, sagte er, die lautstarke Diskussion der beiden Männer unterbrechend, »im Büro ist nichts zu finden.«
Kindler benötigte ein paar Sekunden, bis er begriffen hatte. »S’ isch nix do? Ja, wo soll’s dann sei?«
»Irgendwo in ihren Privaträumen vielleicht?«
Der Mann richtete sich schwerfällig auf, lief von der Maschine weg auf Braig zu. Mitten in seiner Bewegung blieb er stehen, schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Oh, nadierlich, im Schlofzimmer.« Er legte die Zange aus der Hand, schlurfte davon.
Braig roch den intensiven Duft verschiedener Kräuter, sah, dass auf der Anrichte am Rand des Raumes mehrere Kisten mit frischem Grün aufeinander gestapelt waren. »Gibt es heute wieder Kräuternudeln?«, fragte er. Im gleichen Moment fiel ihm ein, dass er die Nudelpackung, die er gestern gekauft hatte, im Büro hatte liegen lassen.
»Wenn’s so weiter goht mit der Maschin«, schimpfte Luithardt, »no gibt’s bald gar nix mehr.«
»Ach was, die krieget mir scho wieder na!« Hermann Kindler kehrte zurück, einen Packen Papiere in der Hand. »Do müsst des ganze Zeugs drin sei, das Sie suchet«, erklärte er, reichte Braig die Unterlagen und machte sich wieder an den Apparaturen zu schaffen.
Der Kommissar blätterte die Papiere durch, sah, dass es sich tatsächlich um Notizen aus Thailand handelte: Adressen von Hotels, Belege über Nudellieferungen, Rechnungen einer Spedition. Er wusste, dass er Zeit benötigte, alles sorgsam zu prüfen, bat darum, das Material mitnehmen zu dürfen. Kindler hatte nichts dagegen einzuwenden. Braig verabschiedete sich, bat beide Männer, ihn zu benachrichtigen, falls ihnen noch etwas zu dieser Angelegenheit einfallen sollte, lief dann auf dem schnellsten Weg zum Bahnhof.
Die Luft war für die frühe Morgenstunde schon überraschend warm, überall, wohin er auch sah, trieben die Pflanzen Knospen oder streckten ihre Blüten dem Licht der Frühlingssonne entgegen. Wahrlich eine faszinierende Jahreszeit, ließ man die beruflichen Ermittlungen außer Acht.
Er nahm den nächsten Zug nach Bad Cannstatt, nutzte die Zeit, die Papiere Marianne Kindlers genau durchzuarbeiten. Der Anzahl der aufgeführten Hotels nach konnte es sich nicht um sonderlich große Mengen von Teigwaren handeln, die die Kindlers nach Thailand verkauften; erstaunlich schien ihm dennoch, dass es einer so kleinen Firma überhaupt gelungen war, sich diesen Absatzmarkt zu erschließen, noch dazu, wo die Speditionskosten, wie aus den beigefügten Rechnungen ersichtlich, nicht unerheblich zu Buche schlugen. Wie clever die Nudeln vermarktet wurden, war einem in Deutsch und Englisch verfassten Prospekt eines Hotels zu entnehmen, der in dicken Lettern die original deutsche Küche mit hausgemachten schwäbischen Eiernudelspezialitäten anpries. Braig blätterte weiter, stieß auf eine weitere Hotelliste, sah, dass einer der Namen rot umrahmt war, las die handschriftliche Bemerkung Kinderschänder unmittelbar darüber. Er legte einen Brief Marianne Kindlers daneben, merkte, dass es sich um ihre Schrift handelte. Hatte er den Namen des gesuchten Hotels endlich gefunden? Hotel Europa, Besitzer: Anton Beckstein.
Er zog sein Handy vor, informierte Ohmstedt über seine Entdeckung, sagte ihm zu, das Material sofort bei seiner Ankunft im Amt vorbeizubringen, erwähnte den Namen.
»Beckstein?«, fragte der Kollege. »Der ist einschlägig bekannt. Um den kümmern wir uns besonders gern.«
Braig sah, dass der Zug Bad Cannstatt erreichte, folgte der Decker- und der Wörishofener-Straße ins Amt, schaute zuerst bei Ohmstedt vorbei. Er überreichte ihm die Papiere, bat ihn, Becksteins Umfeld genau zu überprüfen, ging in sein Büro.
Die Nudeln, die er am Vortag gekauft hatte, lagen am Rand seines Schreibtischs. Er lief zum Waschbecken, nahm im Vorbeigehen erstaunt wahr, dass das Faxgerät im Verlauf der
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