Schwaben-Gier
weit. Er wohnt auf der anderen Straßenseite, ein Haus weiter.«
»Neben Frau Bachmann?«, fragte Braig.
Seine Gastgeberin riss die Augen weit auf, winkte heftig ab. »Nehmen Sie Platz, bitte.«
Er setzte sich auf das Sofa, dort wo er zwei Tage vorher den spielenden Kindern und den jungen Katzen Gesellschaft geleistet hatte, fragte nach der Nachbarin. »Frau Bachmann scheint den Kindlers nicht besonders freundlich gesinnt.«
Monika Heller warf ihre blonden Haare zurück, setzte sich ebenfalls, ließ ein kurzes Lachen hören. »Wer kauft scho a sottichs Gfräs«, ahmte sie die Stimme der Frau verblüffend naturgetreu nach.
»Woher diese bösen Worte?«, fragte Braig.
»Dafür gibt es eine einfache Erklärung«, sagte sie, »Hermann Kindler war Friedas große Jugendliebe. Beide stammen aus Oettingen. Aber leider wollte er von ihr nichts wissen. Und dann kam Marianne aus Ludwigsburg und schnappte ihr den Traum des Lebens weg. Die Hexe aus der großen Stadt. So habe ich es jedenfalls gehört. Aber das ist richtig, Hans, oder?«
Decker ließ ein kurzes, zustimmendes Brummen hören, nickte heftig mit seinem Kopf.
»Und irgendwann später fand sie dann doch noch einen anderen. Aber der alte Groll steckt tief.«
»Aus Liebe wurde Hass?«
»So kann man das formulieren. Sie macht uns schlecht, wo es nur geht. Mich warnte sie monatelang davor, für Marianne zu arbeiten. Seit ich es doch tue, stehe ich auch auf ihrer Abschussliste. Sie dreht sich zur Seite, wenn wir uns auf der Straße begegnen.«
»Wie weit geht ihr Hass?«, fragte Braig.
Monika Heller begriff sofort, wohin seine Gedanken zielten. »Um Gottes Willen, Marianne? Nein, niemals!« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Frieda ist eine verbitterte Frau, aber Marianne etwas antun, nie!«
»Weshalb sind Sie sich so sicher?«
Ihre Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Weil ich sie zu gut kenne. Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit diesem Gedanken. Das ist absurd. Frieda giftet mit Worten, gründlich, ja. Aber Marianne etwas antun, nein!«
Braig sah, wie beide eifrig den Kopf schüttelten, ließ das Thema fürs Erste fallen. Soviele Verbrechen schon genau aus dieser extremen Veränderung menschlicher Gefühle heraus verübt worden waren, auch ihm bereitete es Schwierigkeiten, Frieda Bachmann, so wie er sie auf der Straße und am Telefon erlebt hatte, mit diesem Gedankengang in Verbindung zu bringen. Marianne Kindler war von ihrem Mörder mit brutaler Gewalt attackiert worden, sich Frau Bachmann in dieser Szene vorzustellen, gelang ihm, auch wenn er sich noch so sehr bemühte, nicht – aller beruflichen Erfahrung zum Trotz, die ihn längst hatte erkennen lassen, dass grundsätzlich jeder zu jeder noch so unmenschlichen Übeltat fähig war, vorausgesetzt, die jeweiligen Umstände trugen ihren Teil dazu bei. Nein, es war sinnvoller, sich auf das zu konzentrieren, was er bisher ermittelt hatte und dessentwegen er wieder hierher gefahren war. »Sabine Layer, die Frau, die verschwunden ist«, sagte er daher, »Sie kennen sie?«
Seine Gastgeberin fuhr sich mit der Hand durch die Haare, nickte. »Ja, sicher. Frau Layer arbeitet seit einiger Zeit mit uns zusammen. Wir haben intensiven Kontakt miteinander.«
»Wie kann ich mir diese Zusammenarbeit vorstellen? Offiziell heißt es, sie schreibt an ihrer Promotion.«
»Genau«, erklärte Monika Heller, »ihre Doktorarbeit ist der Grund, weshalb sie mit den Kindlers in Berührung kam. Sie erstellt ein Konzept, um kleinen, für unsere Region typischen Betrieben langfristige Existenzchancen zu vermitteln. Dazu gehören Winzer, Landwirte, Gasthöfe, Hotels, Bäcker, Metzger, Mühlen und eben auch Nudelfabrikanten. Frau Layer setzt auf die Zusammenarbeit dieser Betriebe mit den Fremdenverkehrs- und Touristikverbänden, um Gäste anzulocken und zugleich neue Abnehmer für die heimischen Produkte zu finden. Für unsere Firma erarbeitete sie ein Programm, das Besuchern den Einblick in die Produktion ermöglicht und Kindler Nudeln als landestypische Erzeugnisse bester Qualität vermarktet, die hier auch Brot und Arbeit schaffen.«
»Das klingt in der Theorie ja ganz nett«, überlegte Braig laut, »aber lässt sich das auch realisieren?«
»Ich glaube, Sie haben mich nicht ganz richtig verstanden. Wir reden nicht von theoretischen Spielereien. Frau Layer erstellt ihr Konzept im Auftrag und in Zusammenarbeit mit mehreren Behörden. Im Rahmen ihrer Ausführungen werden nicht nur Vorschläge entwickelt, sie
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